Der Wittener Gastronom Wilhelm Wiedau soll erstmals im Mai 1898 ein lokales „Großereignis“ im Ruhrgebiet – die Pfingstkirmes in Blankenstein – mit einer Kamera festgehalten haben. Von den spannenden Anfängen der Kinematographie in der Region erzählt Paul Hofmann, versierter Leiter der Kinemathek im Ruhrgebiet, in dem Gespräch, das Christoph Wilmer mit ihm für diese FORUM-Ausgabe geführt hat.
Drei Etappen der Filmbegeisterung im „Revier“ konstatiert Klaus Füßmann in seinem einführenden Beitrag über die regionale Film(kultur)geschichte. Er erinnert u. a. daran, dass Duisburg einst Ort filmpädagogischer Innovation und filmunternehmerischer Pioniertaten war. Auch dass Gelsenkirchen bis heute regelmäßig „Deutschlands schrägste Cineasten“ empfängt, zeichnet nach Füßmann das Ruhrgebiet als „Kinoheimat“ aus.
Stefan Moitra konzentriert sich ganz auf das Jahr 1952, in dem (auch) im Ruhrgebiet gegen Filmregisseur Veit Harlan protestiert wurde, den mit dem Film Jud Süß eng in den Nationalsozialismus verstrickten Regisseur. Moitras Beitrag zeigt das kontroverse Potenzial des Kinos in den Nachkriegsjahrzehnten und den damaligen Glauben an eine besondere Wirkmächtigkeit des Mediums Film.
Die bis heute beeindruckende Kinosaalgestaltung der 1950er Jahre stellt Holger Klein-Wiele vor, die auf die Schaffung von „Illusionsräumen“ zielte, und skizziert Architektur, Design und Raumästhetik verschiedener Kinobautypen, darunter auch von Bahnhofskinos oder den früher so überaus zahlreichen Vorortkinos.
In ganz andere Räume führt uns Christoph Schurian, nämlich in die Pornofilmszene und Pornobranche im Ruhrgebiet. Während letztere in den 1990er Jahren im Ruhrgebiet ihre Hochkonjunktur erlebte, befanden sich einige Marktführer der Porno-Filmbranche immerhin für drei Jahrzehnte in der Region. 2010 hatte sich diese Art der Filmproduktion jedoch überlebt.
Ingo Wuttke hat Michael Meyer interviewt, den Betreiber von nicht weniger als sechs Kinos in Bochum, Gelsenkirchen und Dorsten. Seine Kinoleidenschaft führte ihn in den 1970er Jahren ins Ruhrgebiet, konkret nach Bochum, wo er das CINEMA im Uni-Center übernahm, damals im Besitz der gewerkschaftseigenen Neuen Heimat.
Hilde Hoffmann verdeutlicht mit ihrer Übersicht die Bandbreite der hiesigen Filmfestivals, die durch Formen, Zielen, Perspektiven und durch ihre regionale und internationale Relevanz stark beeindrucken. Dennoch sind sie prekär ausgestattet und stehen jedes Jahr erneut zur Debatte.
Einen unumwunden subjektiven Blick zurück wirft Thomas Bertram in seinem Beitrag über das Gelsenkirchener INDUSTRIE-Theater, Sehnsuchtsort eines 14-Jährigen: „So rau wie die Stadt, so rau waren die Sitten auf der Leinwand meines Lieblingskinos.“
Sie werden in diesem Heft neben interessanten Beiträgen und Rezensionen/Annotationen und den gewohnten Mitteilungen der Herausgeber auf Filmbegeisterung und -besessenheit, auf Kinoprotest und -fantasien, auf Leinwandzauber und Kumpelfilme, auf illusionsgesättigte Parallelwelten und ästhetisch wie gesellschaftskritisch anspruchsvolle Räume im Ruhrgebiet stoßen – und mit der Lektüre hoffentlich große Lust auf einen baldigen Kinobesuch und eine Besichtigung der bildgewaltigen Ausstellung „Glückauf – Film ab! Kino und Filmgeschichte des Ruhrgebiets“ bekommen.
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Susanne Abeck