Zeitschrift forum geschichtskultur ruhr

Heft 2/22
„Kinder- und Jugendräume im Ruhrgebiet“


Kindheits- und Jugendräume bilden sich seit dem 18. Jahrhundert mit der Durchsetzung der Moderne (Industrialisierung, Säkularisierung, Urbanisierung …) als zunehmend ausdifferenzierte pädagogisch veranlasste institutionelle Strukturen außerhalb der Familie. Pädagogische Räume sollen die Bereitstellung der Humanressourcen zur Sicherung der gesellschaftlichen Reproduktion sowie die Integration und Partizipationsfähigkeit der Heranwachsenden ins gesellschaftliche Leben ermöglichen. Insbesondere Demokratisierungsansprüche führten und führen zu systemischen Infragestellungen und Veränderungsbedarfen hinsichtlich eines chancengerechten und teilhabeoffenen Bildungsangebots, aber auch zu soziokulturellen Problematisierungen der pädagogisch legitimierten Machtstrukturen in institutionalisierten Kindheits- und Jugendräumen. Beide Facetten nehmen die Beiträge des vorliegenden Heftschwerpunktes auf.

Vom Scheitern handeln die dem pädagogischen Raum Schule zugewandten Beiträge, wenn es darum geht, durch bildungspolitische Interventionen allen Schülern einen chancengerechten Bildungszugang zu eröffnen. Denn C. Jungmann und G. Bellenberg resümieren, dass es trotz des PISA-Schocks von 2001 dem deutschen Bildungssystem und damit auch der nordrhein-westfälischen Bildungspolitik nur unwesentlich gelang, im internationalen Ranking den negativen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb abzubauen. Soziale Ungleichheit als Herausforderung für das Schulsystem in der neuen Republik war auch ein Thema der Weimarer Schulpolitik. Doch ging es hier eher darum, auch den ‚Tüchtigen‘ aus der bildungsbenachteiligten ‚Arbeiterschaft‘ mittlere und höhere schulische Laufbahnen anzubieten, um einem qualifizierten Arbeitsbedarf einer sich nach dem Ende des 1. Weltkrieges modernisierenden Wirtschaft zu entsprechen, wie A. Otto am Beispiel der Aufbauschule Bochum darlegt.

Neben der Schule ergänzten seit Ende des 19. Jahrhunderts sozialpädagogische Angebote für Kinder und Jugendliche die Schule, da aufgrund von unübersehbaren „Verwahrlosungserscheinungen“ am Ende des Kaiserreichs gesellschaftlich geregelte Integrationsformen für diese notwendig erschienen. Im Zentrum der Bemühungen um
eine gesellschaftsintegrative Jugendpflege und -hilfe stand der Aufbau von kommunalen Jugendämtern, deren wechselvoller Geschichte im 20. Jahrhundert B. Stambolis nachgeht. Seit Mitte der 1960er Jahre regte sich zunehmend Protest gegen eine integrative und hierarchisch bevormundende Sozialpädagogik, wie sie etwa in öffentlichen Jugendheimen bestimmend war. T. Fetzer geht den Aktionsformen und selbstorganisierten Arbeitsansätzen in der Jugendzentrumsbewegung am Beispiel Mülheims a. d. R. nach. Korrespondierend hierzu stellten in beruflicher Ausbildung befindliche Jugendliche autoritäre und ausbeuterische Machtstrukturen im betrieblichen Bereich zeitgleich in den späten 1960er Jahren infrage. Anhand der Essener Lehrlingsbewegung zeigt U. Teichmann Protestformen und inhaltliche Forderungen dieser sozialen Bewegung auf.
Als einen der wenigen öffentlichen Kindheits- und Jugendräume stellt J. Mittag den Bolzplatz vor, an dem sich „Kinder und Jugendliche selbstbestimmt treffen, unbeaufsichtigt aufhalten und ihre Freizeit eigenständig gestalten können“ (S. 30). Veränderungen im Freizeitverhalten, Stadt- und Raumentwicklung, Lärmschutzauflagen usw. zeigen Rückwirkungen auf Ausgestaltung und lebensweltliche Bedeutsamkeit des Bolzplatzes im Laufe der vergangenen Jahrzehnte, denen der Autor nachgeht.

Ihnen eine interessante Lektüre – auch über das Schwerpunktthema hinaus!

Editorial
Franz-Josef Jelich

Mit dem Heft wird ein Interview der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur mit Axel Föhl unter dem Titel „Weil es zur Industrienation dazugehört. Und zur Kulturnation auch“ ausgeliefert

Das Inhaltsverzeichnis des Heftes sehen Sie hier.