Zeitschrift forum geschichtskultur ruhr

Heft 1/23
„1923 – Ruhrbesetzung“


Der Einmarsch französischer und belgischer Truppen am 11. Januar 1923 gab den Auftakt für ein Krisenjahr, dass den Bestand der noch jungen Weimarer Demokratie fundamental in Frage stellte. Im rheinisch-westfälischen Industrierevier, das sich mit der Ruhrbesetzung 1923 endgültig in der Innen- als auch in der Außenwahrnehmung politisch-kulturell zum Ruhrgebiet formierte, traten zahlreiche gesellschaftliche Konfliktlagen und Spannungen zutage, von denen die vorliegenden Beiträge handeln.

Die zentrale Bedeutung von Energie – sprich Kohle – für die Wiederingangsetzung der Wirtschaft nach dem 1. Weltkrieg verlieh dem Ruhrgebiet, in dem die Zechen anders als in Nordfrankreich und Lothringen nicht kriegszerstört waren, eine zentrale Rolle für die Erfüllung von Forderungen Frankreichs aus den Versailler Verträgen als auch für die wirtschaftliche Stabilisierung Deutschlands. Frankreichs Eingriff in die staatliche Souveränität durch die militärische Ruhrbesetzung setzte die deutsche Reichsregierung – getragen von einer ‚Welle staatlicher Solidarität‘ – die Ausrufung des passiven Widerstands entgegen, der durch staatlich garantierte Lohnfortzahlungen und Unternehmenskredite finanziell untermauert wurde. Der anfänglich gemeinsam getragene Patriotismus verdeckte nur für kurze Zeit die politischen und sozialen Verwerfungen im Ruhrgebiet, die sich insbesondere durch die im Gefolge der Finanzierung des ‚Ruhrkampfs‘ auftretende Hyperinflation und einer damit einhergehenden wirtschaftlichen Not dynamisierten.

Die französische und deutsche Ruhrpolitik bilanzierend sieht D. Ziegler im Eröffnungsbeitrag des Heftschwerpunkts am Ende des Jahres 1923 ‚nur Verlierer‘. Im Inneren zeigte sich in den sozialen Auseinandersetzungen, dass die Arbeitgeber die Krisensituation zu nutzen suchten, um soziale Errungenschaften der Nachkriegszeit auszuhebeln und die sozialpolitische Machtsituation zu ihren Gunsten zu verschieben (T. Möbius, S. Stern). Ein weiteres Konfliktmoment trat zudem mit separatistischen Strömungen auf, die vornehmlich in westlichen Regionen des Ruhrgebiets die gesellschaftlichen Spannungen verschärften, wie M. Kanther am Beispiel Hamborns aufzuzeigen vermag. Einen differenzierten Umgang der französischen Öffentlichkeit mit der Ruhrbesetzung zeichnet B. Volff nach.

Auf einer Metaebene bewegen sich die weiteren Beiträge zur Ruhrbesetzung. S. Berger zeigt, wie der ‚Ruhrkampf‘ bereits in der Weimarer Republik durch antirepublikanisch und antifranzösisch argumentierende historische Abhandlungen in Traditionen des im 19. Jahrhundert ausgebildeten ‚historiografischen Nationalismus‘ eingebunden wird. Perspektiven  gegenwärtiger Literatur zum Krisenjahr 1923 untersucht eine Sammelrezension von H.-C. Seidel, Ausstellungen zur Ruhrbesetzung erläutern die Kuratoren des Ruhr Museums (I. Wuttke, A. Zolper) sowie des Stadtarchivs Recklinghausen (M. Kordes) und einen quellenkritischen Umgang mit Dokumenten zur Ruhrbesetzung im Deutschen Bergbau-Museum Bochum stellen A.-M. Heide und S. Przigoda vor. Zudem wird noch auf eine visuelle Überlieferung der Besetzung des Ruhrgebiets durch ein damals aktives französisches Kamerateam verwiesen (M. Köster).

Editorial
Franz-Josef Jelich

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