Das Thema „Moderne im Ruhrgebiet der 1920er Jahre“ als Heftschwerpunkt aufzugreifen, heißt, sich mit Widersprüchlichkeiten kultureller und politischer Entwicklungstendenzen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen. Der „Neue Mensch“, eine zentrale Argumentationsfigur der Moderne, ozillierte janusköpfig zwischen dem Streben nach Erweiterung von Selbständigkeit und Autonomie und optimierten Formen funktionaler Anpassung in einer technisch-industriellen Welt, zwischen der Forderung nach gesellschaftlicher Demokratisierung und rassistischem Herrschaftsanspruch.
Die „Ambivalenz“ wurde, so Hans-Ulrich Thamer im eröffnenden Beitrag, „in den 1920 Jahren zum Signum der Moderne“. Einen Eindruck hiervon geben etwa die unterschiedlich entworfenen Perspektiven auf den „Industrieraum“, wie sie in der kunsthandwerklich ausgerichteten Künstlersiedlung Margarethenhöhe ästhetisch entwickelt (Beitrag Grütter) und wie sie in einer der ökonomischen Rationalität entsprechenden architektonischen Form auf Zollverein realisiert (Beitrag Farrenkopf) wurden. Mit dem von T. Schleper vorgestellten Projekt „100 jahre bauhaus im westen“ wird der kulturelle Aufbruch der Moderne, der sich im Bauhaus verdichtete, in seiner Inspirationskraft deutlich, der weit über Weimar und Dessau hinausreichte und auch das Ruhrgebiet erfasste. Neue Sachlichkeit in Fotografie und Literatur, innovative Gestaltungen für eine Entsprechung von Kunst und Form in der Industriearchitektur, arbeitspsychologisch unterlegte Rationalisierungsansprüche in der Gestaltung von Arbeit u. a. hinterließen in den 1920er Jahren Spuren im Revier, die im vorliegenden Heft aufgegriffen werden.
Aufmerksamkeit verdient der kleine Beitrag zum „Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen“, dessen Einrichtung im Januar 2018 im Landtag NRW beschlossen wurde, um das „Geschichtsbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens … zu fördern und fortzuentwickeln“. Landesidentität als Geschichte widerstreitender pluraler Meinungen und Interessen im Gestaltungsprozess demokratischen Lebens in offenen Ausstellungskonzepten anzugehen, diese Aufgabe eines „Hauses der Geschichte“ bedarf einer kritischen Öffentlichkeit, an der sich das Forum Geschichtskultur Ruhr künftig engagiert beteiligen will.
Besondere Aufmerksamkeit verdient in dieser Ausgabe die Rezensions- und Annotationsrubrik, die sowohl durch die erkennbare Breite der historischen Auseinandersetzung mit dem Ruhrgebiet als auch durch die Qualität der vorliegenden Besprechungen beeindruckt.
Dem Umfang des Heftes ist der – einmalige! – Fortfall der Veranstaltungshinweise geschuldet. Bitte tragen Sie sich in die Mailingliste des Forums Geschichtskultur an Ruhr und Emscher ein, mit der Veranstaltungshinweise und weitere Informationen zur regionalen Geschichtskultur (Neuerscheinungen von Bücher, Filmen …) zeitnah gegeben werden. Wir hoffen, Ihnen eine interessante Lektüre zu unterbreiten.
Franz-Josef Jelich
Moderne im Ruhrgebiet der 1920er Jahre
05_Der Neue Mensch. Menschenbilder des frühen 20. Jahrhunderts zwischen Demokratie und Diktatur_ Hans-Ulrich Thamer
12_Theater um das Bauhaus. Zum Projekt „bauhaus100 im westen“_ Thomas Schleper
18_Albert Renger-Patzsch. Ein neusachlicher Fotograf_ Stefanie Grebe
23_Neue Sachlichkeit in der Ruhrgebietsliteratur_ Dirk Hallenberger
28_Aufbruch im Westen. Die Künstlersiedlung Margarethenhöhe_ Heinrich Theodor Grütter
32_Weichenstellungen und Beziehungen: das Bauhaus, 1919 und die Industriegeschichte_Dagmar Kift
36_„Drüben steht Amerika …“ Rationalisierung und Amerikanisierung als Leitbilder der Moderne für Wirtschaft und Gesellschaft_ Burkhard Zeppenfeld
41_Rationalisierung von Arbeits- und Produktionsbedingungen als Herausforderung der architektonischen Gestaltung – Schupp/Kremmer und die Zeche Zollverein_Michael Farrenkopf
Beiträge
49_Das Baukunstarchiv NRW in Dortmund – Bewahren, Erforschen, Ausstellen_Regina Wittmann
51_Industriedenkmalpflege und Stadtentwicklung: Gute Praxis auf Zollverein_Heike Oevermann, Lena Plikat und Harald A. Mieg
53_Ein Haus der Geschichte fürs ganze Land Nordrhein-Westfalen_ Stefan Goch
Mitteilungen der Herausgeber
55_Deutsches Bergbau-Museum Bochum
59_Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher
62_Ruhr Museum
64_Regionalverband Ruhr / Referat Industriekultur
68_Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur
70_Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets
75_Aufgelesenes
76_Personen
Museen und Ausstellungen
77_Das Zeitalter der Kohle. Eine europäische Geschichte_ Frank Dittmann, Sebastian Kasper und Franziska Schwiersch
79_Merkwürdige Unschärfe. Die Ausstellung über den Fotografen Albert Renger-Patzsch im Ruhr Museum_ Ralf Piorr
81_Rausch der Schönheit. „Die Kunst des Jugendstils“ im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte_ Thomas Parent
82_Warum eine Ausstellung „Weimar im Westen: Republik der Gegensätze“?_Julia Paulus
84-Peter Behrens – Kunst und Technik. Dauerausstellung im Peter-Behrens-Bau
84_Ausstellungen 2019 im LWL-Industriemuseum
84_Raubbau – Rohstoffgewinnung weltweit
85_Michael Wolf. Bottrop-Ebel 76
85_nützlich und schön. produktdesign von 1920 bis 1940
86_Boom! Was von der Zeche bleibt
86_U-Boote – Krieg und Forschung in der Tiefe
86_Alles nur geklaut? Die abenteuerlichen Wege des Wissens
87_Hidden Costs. Ewigkeitslasten
87_Berührte Landschaften
Rezensionen
88_Lars Bluma, Michael Farrenkopf, Stefan Przigoda: Geschichte des Bergbaus
89_Dietmar Osses, LWL-Industriemuseum, Lisa Weißmann (Hg.): Revierfolklore. Zwischen Heimatstolz und Kommerz.
90_Stadt Recklinghausen (Hg.): Rosemarie Koczÿ. Projektionen einer Identität
91_Heidi Behrens, Norbert Reichling: „Ich war ein seltener Fall“. Die deutsch-jüdischpolnische Geschichte der Leni Zytnicka
92_Dietmar Bleidick: Die Ruhrgas 1926 bis 2013. Aufstieg und Ende eines Marktführers
93_LVR-Industriemuseum, Ludwiggalerie Schloss Oberhausen (Hg.): Stoffwechsel. Die Ruhrchemie in der Fotografie
94_Stefanie Grebe, Heinrich Theodor Grütter: Albert Renger-Patzsch. Die Ruhrgebietsfotografien
95_Dorothee Linnemann (Hg.): Damenwahl – 100 Jahre Frauenwahlrecht. Begleitbuch zur Ausstellung „Damenwahl 100 Jahre Frauenwahlrecht“ im Historischen Museum Frankfurt,
96_Arnold Maxwill (Hg.): Grube, Grus, Gedinge. Gedichte zwischen Flöz und Förderturm
96_derselbe (Hg.): Seilfahrt, Siedlung, Schwielenhand. Prosa aus dem Kohlenrevier
96_derselbe (Hg.): Schlot, Schacht, Schwielenhand. Berichte und Reportagen zum Ruhrgebiet
97_Franziskus Siepmann: Mythos Ruhrbistum. Identitätsfindung, Innovation und Erstarrung im Bistum Essen 1958–1970
98_Christoph Zöpel, Iris Bocian (Hg.): Im Wechsel der Zeit. Friedrich Halstenberg. Planung im demokratischen Staat – Landesentwicklungspolitik in Nordrhein-Westfalen
Annotationen
100_Karin Hockamp, Wilfried Korngiebel und Susanne Slobodzian (Hgg. im Auftrag der Kunst- und Kulturinitiative Sprockhövel e.V.): „Die Vernunft befiehlt uns, frei zu sein!“ Mathilde Franziska Anneke. Demokratin, Frauenrechtlerin, Schriftstellerin
100_Nadine Rossol: Kartoffeln, Frost und Spartakus. Weltkriegsende und Revolution 1918/19 in Essener Schüleraufsätzen
100_Wolfgang Sonne, Regina Wittmann (Hg.): Städtebau der Normalität. Der Wiederaufbau urbaner Stadtquartiere im Ruhrgebiet
101_Jürgen Pohl, Georg Möllers: Stätten des Friedens und der Menschlichkeit. Die Recklinghäuser Friedhöfe als Lern- und Erinnerungsorte
101_Klaus Ellenbeck, Barbara Kloubert: Grabstätten in Gelsenkirchen, Buer und Horst erinnern an Menschen und Familien
102_Reihe „Gelsenkirchen in alter und neuer Zeit“ vom Heimatbund Gelsenkirchen e.V.:
Karlheinz Rabas: Pforten zur Unterwelt – Geschichte der Kanalisation in Gelsenkirchen
Hildegard Schneiders: Kunst über Tage – Bergbaumotive in Gelsenkirchen
102_Klaus Wisotzky, Monika Josten (Hg.): Essen. Geschichte einer Großstadt im 20. Jahrhundert
102_Ralf Piorr (Hg.): Albert Kelterbaum, Westfalenstrasse 36, Bergmann
103_Manfred Rasch: Kohlechemie im Revier. Zur Geschichte der Ruhrchemie AG 1927-1966
103_Zur Geschichte der Bergberufsschulen im Ruhrgebiet. Von der bergmännischen Fortbildungsschule der Westfälischen Berggewerkschaftskasse (WBK) zum Berufskolleg TÜV Nord College
103_Detlef Hopp (Hg.): Archäologische Spuren zum Bergbau in Essen. Vom Steinbeil bis zur Grubenlampe
103_Brigitte Spieker (Text), Rolf Jürgen Spieker (Fotos): Glaubensverkündigung in prachtvollen Plastiken. Der Wiedenbrücker Bildhauer Heinrich Hartmann (1868-1937)
105_Ruhrgebietsbibliografie
114_Zeitschriftenrundschau
115_Adressenverzeichnis
119_Autorinnen und Autoren