Zeitschrift forum geschichtskultur ruhr

Heft 2/2016
„Grenzen – Begrenzungen – Abgrenzungen“


Editorial

Grenzen und Grenzziehungen waren und sind in der im Industrialisierungsprozess des 19. Jahrhundert entstandenen Region Ruhrgebiet vielfach schärfer und willkürlicher konturiert als in jahrhundertealten gewachsenen Kulturlandschaften. Raumbestimmend wurden die vom Bergbau und der Eisen- und Stahlindustrie gesetzten Betriebsstandorte mit den sie umgebenden Siedlungen. Stadtplanerische Raumkonzepte suchten ab Beginn des 20. Jahrhunderts urbane Strukturen zu entwickeln, hatten sich aber auch da noch, wie das Beispiel des SVR zeigt (M. Walz), industriellen Interessen unterzuordnen. Räumliche Grenzziehungen stimmen im Ruhrgebiet zwischen Städten oder Stadtteilen typischerweise häufig mit künstlichen Grenzen überein, die durch Eisenbahnlinien, durch das Klärsystem der Emscher, durch den Rhein-Herne-Kanal oder durch ausgebaute Straßen (B 1/A 430, Autobahnen etc.) gezogen werden.
Sind diese topgraphischen Grenzen leicht auszumachen, fällt es schwerer, soziale und kulturelle Grenzziehungen zu identifizieren, obwohl sie Alltage und Lebensmöglichkeiten grundlegend prägen, beeinflussen sie doch wesentlich Prozesse von Inklusion und Exklusion, die Entfaltung von kultureller Identität. Verbinden sich hier mit Grenzen für die einen „geschützte“ Räume, so führen sie für andere zu Ausgrenzungen, was vielfach konfliktreiche Aushandlungen zur Folge hat, wie wir es derzeit etwa im Umgang mit den Geflüchteten („Obergrenze“) sehen. Aspekte von „Grenzziehungen“ – aber auch von sich auflösenden „Begrenzungen“ – werden im vorliegenden Schwerpunkt aufgegriffen:

Soziokulturelle Ab- und Ausgrenzungen aus ständisch bestimmten Lebensräumen im Mittelalter kennzeichnen die fragilen Versuche durch Konventionen, Rechtsprechung und Sanktionen „gottgegebener“ gesellschaftlicher Ordnung Legitimität zu schaffen (R. Stephan-Maaser).

Industriekulturelle Grundlagen der Ruhrgebietskultur bedürfen aufgrund ihrer ökonomischen Grenzen, wie etwa durch die 2018 auslaufenden Förderung von Steinkohle, der kulturellen Erinnerung durch Erhalt von Industriedenkmalen (I. Mazzoni) und durch kritische Musealisierung (M. Farrenkopf).

An die durch die Grenzziehungen rassistischer Volksgemeinschaftsideologie der Auslöschung preisgegebene jüdische Kultur zu erinnern, steht vor Herausforderungen, Grenzen der Wahrnehmung zu öffnen, die vielfach durch den Holocaust eingeengt waren und sind, um damit Blicke auf komplexe und widersprüchliche Entwicklungen zu „dynamisieren“ (N. Reichling).

In scharfem Widerspruch zu „bürgerlichen“ Normalitätsvorstellungen stand homosexuelles Verhalten, das zu Diskriminierung und Pönalisierung (§ 175) führte und soweit reichte, dass selbst in der Erinnerung an den Nationalsozialismus die radikalisierte Verfolgung von Homosexuellen lange Zeit ausgeblendet wurde, wie es mit dem Beispiel der Dortmunder Steinwache ersichtlich wird. (F. Ahland)

Wie intensiv Geschichtskultur im Ruhrgebiet kritisch infragestellend Bezug auf Begrenzungen von Sichtweisen, auf Ausgrenzungen von Ereignissen, Biographien und Entwicklungsprozessen nimmt, entnehmen Sie bitte den vielfältigen Ausstellungsangeboten, Lektürehinweisen und Vortragsaktivitäten.

 

Inhaltsverzeichnis

Grenzen – Begrenzungen – Abgrenzungen
05_ Kleider, Farben, Zeichen. Gesellschaftliche Ausgrenzung im Mittelalter_ Reinhild Stephan-Maaser
09_ Das Ende der deutschen Steinkohlenförderung: Eine historische Zäsur?_ Michael Farrenkopf
13_ Ausgesperrt – Grenzen der Industrie- und Baukultur_ Ira Mazzoni
16_ Grenzen der Erinnerung – Chancen der Historisierung_ Norbert Reichling
22_ „Der jeder Menschlichkeit Hohn sprechende Schandparagraph” – Anmerkungen zu Grenzverschiebungen im Umgang mit Homosexualität im Ruhrgebiet des 20. Jahrhunderts_ Frank Ahland
26_ Umstrittene Grenzziehungen der Eingemeindungen im Ruhrgebiet 1928/29 –
Zur Position Robert Schmidts mit dem Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk_ Manfred Walz

 

Beiträge
40_ „Man fängt an, sich zu fragen, wie es denn nur sein kann, dass Menschen ihre
umstände von Zwangsarbeiter*innen im Rahmen einer Lecture Performance vor historischer Kulisse_ Monika Josten/Brigitte Sternberg
42_ Leben und Malochen in der Gartenstadt Lohberg. Mit Geocaching auf den Spuren der Kumpel_ Daniel Sobanski
44_ Ein Beispiel von Altersradikalismus. Ein Gespräch zum achtzigsten Geburtstag mit Roland Günter_ Susanne Abeck
47_ Interview mit Jens Stöcker. Der Geisteswissenschaftler und begeisterte Jazzmusiker ist neuer Leiter des Museums für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund_ Susanne Abeck

 

Mitteilungen der Herausgeber
50_ Deutsches Bergbau-Museum Bochum
55_ Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher
57_ Ruhr Museum
61_ Regionalverband Ruhr/Route der Industriekultur
62_ Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur

66_ Aufgelesenes

 

Museen und Ausstellungen
69_ Abtauchen in die Musiksozialisation einer Region – die Ausstellung
„Rock & Pop im Pott“ im Ruhrmuseum
70_ „… eine Heil- und Pflegeanstalt für skrophulöse Kinder zu errichten“. Die Westfälischen Salzwelten blicken auf die Entstehung der Kinderheilanstalten für Kinder aus dem Ruhrgebiet der Hochindustrialisierung
71_ „Der Blick der Sachlichkeit“. Zeche Zollverein im Spiegel künstlerischer Photographen
73_ Sänger, Turner, Schützen. Vereinswesen in Unna 1777 bis 1933
73_ Arbeitskämpfe – Fotografien von Michael Kerstgens
74_ Zwischen Ungewissheit und Zuversicht – Polnische „Displaced Persons“ in Deutschland 1945-1955
74_ Tong Yuanju – eine Arbeitersiedlung in Chongqing, China
74_ Sonstige

 

Veranstaltungen
75_ Werkstatt Geschichtsarbeit und historisch-politisches Lernen zum
Nationalsozialismus 2016: „Krankenmorde im Nationalsozialismus“
75_ LVR-Industriemuseum
75_ Jüdisches Museum Westfalen

 

Rezensionen
76_ Wölk, Ingrid: Leo Baer. 100 Jahre deutschjüdische Geschichte. Mit den
„Erinnerungssplittern eines deutschen Juden an zwei Weltkriege“ von
Leo Baer und einem Vorwort von Gerd Krumeich
76_ Wilmer, Christoph: Landschaftspark Duisburg-Nord. Industrie – Kultur – Landschaft – Park
77_ Petz, Ursula von: Robert Schmidt 1869-1934. Stadtbaumeister in Essen und Landesplaner im Ruhrgebiet
78_ Buschmann, Walter (Hg.): Industriekultur – Düsseldorf und das Bergische Land
79_ Rauhut, Christoph; Lehmann, Niels: Fragments of Metropolis. Rhein & Ruhr. Das expressionistische Erbe an Rhein und Ruhr.
80_ Schleper, Thomas (Hg.): Aggression und Avantgarde – Zum Vorabend des Ersten Weltkrieges
81_ Bergmanns-Sagen – erzählt von Thomas Krause

 

Annotationen
83_ Reininghaus, Wilfried: Die Revolution 1918/19 in Westfalen und Lippe als Forschungsproblem. Quellen und offene Fragen. Mit einer Dokumentation zu den Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten
83_ Haug, Karsten: Kirche – Fußball – Gottvertrauen
84_ Gantenberg, Walter E.; Wührl, Engelbert: Vom Kohlengraben zum Tiefbau. Der Wander- und Lehrpfad zur Bergbaugeschichte und zur Geologie im Stadtbezirk Bochum-Südwest – Die Befahrung der Dahlhauser Stollenzechen durch den Freiherrn vom Stein im Juni 1784
85_ Wie war das mit Verdun? Teilnehmer der Schlacht Erinnern sich. Feature von German Werth, mit einer Einführung von Gerd Krumeich
85_ Breyvogel, Wilfried (Hg.): „Mist auf Plakaten“ Aktionsplakate aus den Jahren 1967 bis 1976
86_ Sabrow, Martin; Saupe, Achim (Hg.): Historische Authentizität
86_ Busch, Johann Rainer: Rund um den Kupferdreher Markt
86_ Hortkötter, Ludger (Hg.): Arnt Buschmanns Mirakel. Eine Jenseitsvision des 15. Jahrhunderts. Untersuchungen zu Textentstehung und Verbreitung, mit einer Edition der Hamborner Handschrift
87_ Geschichtswerkstatt Oberhausen e.V. (Hg.): „Schichtwechsel –Journal zur Geschichte Oberhausens
87_ Landschaftsverband Rheinland/LVR-Industriemuseum; Landschaftsverband Westfalen-Lippe/LWL-Industriemuseum (Hg.): Industriekultur. Zeitschrift für Denkmalpflege, Landschaft, Sozial,- Umwelt- und Technikgeschichte
88_ Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr (Hg.): Baukunst in Mülheim an der Ruhr

 

89_ Ruhrgebietsbibliografie

 

98_ Zeitschriftenrundschau

 

99_ Adressenverzeichnis