
Dating-Apps, Fernbeziehungen, Liebesbriefe im Chat – Liebe scheint heute grenzenlos. Doch schon vor Jahrhunderten wurde sie verhandelt, reglementiert, idealisiert. Unser Themenschwerpunkt zeigt, wie sehr das, was wir Liebe nennen, immer auch ein Spiegel gesellschaftlicher Normen ist. Denn Liebe, so macht Jochem Kotthaus gleich zu Beginn deutlich, ist aus soziologischer Sicht ein Produkt von Sozialisation, Erziehung und Prägung. Wie stark sie mit Fantasie und Wunschdenken verknüpft sein kann, zeigt Maria Perrefort am Beispiel von Sophie Marks und Alexander Haindorf, die um 1800 vor allem über Briefe miteinander verbunden waren.
Mit der Arbeitsmigration im 19. Jahrhundert erweiterte sich das Spektrum möglicher Beziehungen. Besonders im Ruhrgebiet, wo Menschen aus vielen Ländern zusammenkamen, nahmen binationale Ehen deutlich zu – und die hiesigen Standesbeamten galten bald als Experten. Christoph Lorke beleuchtet das Spannungsfeld zwischen Staat, Gesetz und Paaren, die gegen Vorurteile ankämpften.
Auch gesellschaftliche Schranken stehen im Mittelpunkt weiterer Beiträge: Dimitrij Owetschkin untersucht interkonfessionelle Beziehungen, Mareen Heying und Giovanna Gilges das politische Engagement von Sexarbeiterinnen in der sogenannten Hurenbewegung, die auch im Ruhrgebiet für Anerkennung und Rechte kämpfte.
Einen bis heute nur wenig beleuchteten Aspekt greift Stefan Nies auf: die queere Geschichtsschreibung in der Region. Nach Recherchen in zahlreichen Archiven und Museen fällt sein Fazit ernüchternd aus – von einer intensiven Auseinandersetzung mit queeren Perspektiven kann bislang kaum die Rede sein.
Neben der Liebe in all ihren Facetten – mitunter auch mit einem augenzwinkernden Blick auf den Fußball – widmet sich dieses Heft der lebendigen Industriekultur. Vorgestellt werden die Gründung des Bundesverbands Industriekultur Deutschland e. V. und die Idee eines „Kompetenzzentrums Industriedenkmalpflege“. Weitere Beiträge erinnern an Projekte zur NS-Euthanasie und zur Migration nach 1945. Wolfgang Jäger porträtiert die IG-Bergbau-und-Energie-Vorsitzenden Walter Arendt und Adolf Schmidt – beide Jahrgang 1925.
Die Mitteilungen der Herausgeber verdeutlichen erneut die Vielfalt und Relevanz der dortigen Forschungs-, Ausstellungs-, Vernetzungs- und Bauprojekte. Hinweisen möchte ich auf den 13. Geschichtskonvent am 28.11., der unter dem Motto „Geschichte aktuell: neuer Schwung in der Geschichtsarbeit“ aktuelle Themen und Vermittlungsformen der regionalen Geschichtskultur in den Blick nimmt.
Zum Schluss empfehle ich Ihnen nicht nur die Lektüre dieses Heftes, sondern auch der hier rezensierten Bücher und einen zeitnahen Besuch der zahlreichen spannenden Ausstellungen in der Region.
Bleiben Sie uns zugewandt!
Ihre
Susanne Abeck
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