Zeitschrift forum geschichtskultur ruhr

Heft 2/23
„Soziale Ungleichheit im Ruhrgebiet“


Laut aktuellem Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands lebten 2021 19,2 Prozent der Menschen in NRW unter der Armutsgrenze (im Bundesdurchschnitt waren es 16,9 Prozent), wobei die Städte Dortmund, Duisburg und Essen mit über 22 Prozent die traurigen Spitzenplätze einnahmen.

Soziale Ungleichheit als eine Frage von Verteilung und Chancen geht jedoch über Einkommen und Vermögen und damit über eine rein materielle Dimension hinaus. Hinzu kommt die kulturelle (Bildung, ethnische Gruppenzugehörigkeit), die soziale (familiär-gesellschaftliche Netzwerke, Prestige) und die subjektive (Gesundheit, Selbstwirksamkeit) Dimension. Diese Multidimensionalität ist in diesem Heft mit sieben Beiträgen abgebildet.

Während Klaus Peter Strohmeier und Volker Kersting in ihrem mehr soziologisch denn historisch ausgerichteten Beitrag auf die „riskante Relegation“ blicken und auf die Situation derjenigen Kinder und Jugendlichen eingehen, die sowohl räumlich als auch sozial am Rand der Ruhrgebietsgesellschaft stehen, stellt Arnold Maxwill eine Auswahl an Autoren und Autorinnen vor, die sich zwischen 1899 und 1984 mit den verschiedenen Dimensionen sozialer Ungleichheit im Ruhrgebiet literarisch auseinandergesetzt haben.

Die Region als ein besonderer Sozialraum, in dem die Aufstiegs- bzw. Fallhöhe zwischen den Gesellschaftsschichten schwächer als heutzutage ausgeprägt war, tauchte in vier der 22 Folgen der ersten bundesdeutschen Fernseh-Krimiserie STAHLNETZ auf (1958 bis 1968), die Peter Ellenbruch näher betrachtet.

Caner Tekins beschreibt die Rolle türkeistämmiger Vereine im Ruhrgebiet in dem 1974 geführten Kampf gegen die Geldkürzungen für die im Ausland lebenden Kinder und führt damit ein Beispiel für die enge Verbindung von Selbstorganisation bzw. -ermächtigung und sozialer Teilhabe an.

Anne Niezgodka beleuchtet die subjektive Dimension von sozialer Ungleichheit, indem sie den im archiv für alternatives schrifttum (afas) deponierten Nachlass des Duisburger Arztes und Umweltaktivisten Michael Lefknecht vorstellt, der Ende der 1980er Jahre zu den Initiatoren der Duisburger Bürgerinitiative gegen Umweltgifte zählte.

Eine (theoretisch) öffentlichkeitswirksame Form des Protests gegen soziale Ungleichheit zeigt sich in den Arbeiten der Fotografen und Fotografinnen, die sich z. T. seit Jahrzehnten mit Kinderarbeit, Armut, Gewalt, Flucht/Migration, Obdachlosigkeit und Einschränkungen anderer Art beschäftigten und die Peter Liedtke vorstellt.

Anne Schlüter, die bereits in den 1990er Jahren zu sozialer Ungleichheit, Geschlecht und Bildung geforscht hat, gibt einen Überblick über intersektional erweiterte Fragestellungen zu den Kategorien Geschlecht und soziale Herkunft, und Michael Kanther hat für uns die Dissertation der Frauenrechtlerin Li Fischer-Eckert erneut gelesen, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg Hamborner Arbeiterfrauen interviewt hatte.

Auch die Nachrufe geben keinen Grund zur Freude, doch möchte ich sie Ihnen aufgrund der fundierten Rückblicke auf drei wichtige Akteure der Geschichts- und Erinnerungskultur des Ruhrgebiets ebenso zur Lektüre empfehlen wie die fünf interessanten Beiträge und zahlreichen Ausstellungshinweise.

Editorial
Susanne Abeck

Das Inhaltsverzeichnis des Heftes sehen Sie hier.