Zeitschrift forum geschichtskultur ruhr

Heft 2/21
„Ruhrgebiet international“


Das Schwerpunkthema „Ruhrgebiet international“ verdankt sich zwei für die Geschichte der internationalen Beziehungen zentralen historischen Erinnerungsdaten, die wesentlich mit dem Ruhrgebiet verbunden sind: Am 18. April 1951 – vor siebzig Jahren – wurde die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) gegründet, um die aus dem wirtschaftlichen Potenzial des Ruhrgebiets erwachsende politische Hegemonie Deutschlands in einer europäischen Nachkriegsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg zu brechen. Unser Autor Wilfried Loth sieht in seinem Beitrag hierin den „ersten Akt des Friedensschlusses zwischen Frankreich und Deutschland“ nach 1945 und damit auch den Beginn des europäischen Einigungsprozesses.

Am 30. Oktober 1961 – vor sechzig Jahren – wurde das deutschtürkische Anwerbeabkommen vereinbart, das nicht zuletzt dem durch das „Wirtschaftswunder“ entfachten anhaltenden Arbeitskräftemangel im Ruhrgebiet durch die Beschäftigung türkischer „Gastarbeiter“ begegnen sollte. Sara-Marie Demiriz zeigt auf, wie aus einer temporären konjunkturell begrenzten arbeitspolitischen Maßnahme ein Zuzug türkischer Arbeitskräfte mit ihren Familien wurde, der mit seinen vielfältigen gesellschaftlichen Integrationsaspekten die Ruhrgebietsgesellschaft nachhaltig veränderte. Aufgefordert wird dazu, die Geschichte der Arbeitsmigration in ihren facettenreichen differenten Lebensgeschichten als Teil der Geschichte der Bundesrepublik und insbesondere auch des Ruhrgebiets zu erzählen. Ansätze hierzu werden von Dietmar Osses im Hinblick auf den Umgang der Erinnerungskultur des Ruhrgebiets mit Migration benannt, wobei besonders seine Ausführungen zur Schaffung eines „Gastarbeiterdenkmals“ zur Lektüre anempfohlen seien.

Lohnenswert zu lesen ist der Beitrag von Stefan Berger zum Strukturwandel schwerindustrieller Ballungsräume im internationalen Vergleich. Diskutiert wird die Geltungskraft des Begriffs Strukturwandel zur Beschreibung der krisenhaften Veränderungen altindustrieller Strukturen im Ruhrgebiet, werde doch in historischen Analysen zu international vergleichbaren montanindustriellen Räume ansonsten mit dem Begriff „Deindustrialisierung“ gearbeitet. Herausgearbeitet wird die berechtigte Verwendung des Begriffs Strukturwandel, mit dem ein
positives Selbstbild des auch im Ruhrgebiet stattfindenden Deindustrialisierungsprozesses trotz aller gesellschaftlichen Verwerfungen auf dem Hintergrund des Verfalls von Urbanität in ehemals schwerindustriell geprägten Räumen der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Spaniens und Osteuropas bekräftigt wird.

Leider ist zu befürchten, dass aus eher wirtschaftlichen Vermarktungsinteressen das Welterbe-Projekt „Industriekultur des Ruhrgebiets“ sich in einigen Kommunen des Ruhrgebiets und bei der Landesregierung langfristig nicht durchzusetzen vermag. Ursula Mehrfeld und Marita Pfeiffer behaupten in ihrem Aufsatz zu Recht die kulturelle Strahlkraft des industriellen Erbes unserer Region im internationalen Vergleich.

Eine Pretiose für unser Heft ist der aufschlussreich illustrierte Beitrag von Ulrike Laufer über die Internationalität der Sammlung des Museums Folkwang, in dem sowohl die politisch-kulturellen Kontexte der Sammlungsgeschichte des Hauses skizziert als auch dessen kulturelle Qualität in der internationalen Museumslandschaft angedeutet werden.

Beigefügt ist der Ausgabe 02/21 die den Forschungsstand wiedergebende Dokumentation einer Veranstaltung der Stiftung Zollverein zur Zwangsarbeit im Ruhrbergbau während des Zweiten Weltkrieges, die anlässlich der Enthüllung einer Gedenktafel auf der Kokerei Zollverein am 6. Juni 2021 stattfand.

Editorial
Franz-Josef Jelich

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