
Die Beschäftigung mit der Kolonialgeschichte kam langsam seit den 1960er Jahren in Gang, wobei ein kolonialkritischer Blick im Ruhrgebiet, so Fabian Fechner in seinem Beitrag, mit Verzögerung sogar erst Mitte der 1980er Jahre aufkam. Eine „Pionierleistung für das Ruhrgebiet“ stelle die von Detlev Brum seit 2012 online gestellten Ergebnisse einer kolonialen Spurensuche in Dortmund dar.
Dabei zeigt Barbara Frey in ihrem Beitrag den Kolonialismus als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das mit zahlreichen Verflechtungen alle Bevölkerungsschichten durchdrang und viele
Unternehmen im Rheinland und Westfalen mit den Kolonial- und Plantagengesellschaften in den Kolonien eng verband.
Dass der Aufstieg der Montanindustrie im rheinisch-westfälischen Industriegebiet mit dem kolonialen Wirtschaftssystem und dessen Unterdrückungsstrukturen verknüpft ist, betont gleichfalls
Fabian Fechner, der die kritische Auseinandersetzung mit der lokalen beziehungsweise regionalen Kolonialismusgeschichte seit den 1980er Jahren nachzeichnet. Er hält die Beschäftigung mit dem Thema „Kolonialismus“ auch deswegen für erforderlich, damit sich Bewohner*innen mit internationaler Familiengeschichte in dem historischen Selbstverständnis der Region verorten können.
Mit Urs Lindner verlassen wir den regionalen Bezugsrahmen, auch wenn der von ihm skizzierte Streit über das Verhältnis von Shoah und Kolonialismus mit der Ruhrtriennale im Frühjahr 2020 seinen Auftakt nahm. Lindner zeichnet die kontroverse Debatte um die Besonderheiten der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden im Vergleich zu kolonialen Massenverbrechen nach und greift Fragen um angemessene Formen des Erinnerns und um die politisch-ethischen Konsequenzen, die aus der Shoah zu ziehen sind, auf.
Die Texte von Kirstin ter Jung und Daniel Sobanski zoomen sich wiederum in die Region ein, indem sich ter Jung mit der Abteilung des Frauenbunds der Deutschen Kolonialgesellschaft in Hagen beschäftigt, die ihren weiblichen Mitgliedern neue gesellschaftliche Teilhabeformen über das ihnen bis dahin zugestandene, auf die Wohlfahrtspflege beschränkte karitative Engagement hinaus ermöglichte. Daniel Sobanski hat sich auf koloniale Spurensuche in Herne begeben, eine Ruhrgebietsstadt, die über keine global agierende Schwerindustrie verfügte. Entdeckt hat er fragliche Denkmalinschriften, rassistische Selbstzeugnisse und Dokumente von Koloniallobbyisten und Schutztruppensoldaten, die mit ihren Rückgabeforderungen eine revanchistisch-unruhige Stimme in der Weimarer Republik blieben.
Die Texte des Schwerpunktes werden mit fast durchgehend themenbezogenen Beiträgen ergänzt, die auf Ausstellungen, Hörrundgänge sowie auf die studentische Initiative BIPoC denken aufmerksam machen. Mit einer Auswahl von Fotografie-Gegenüberstellungen der Designerin Julia Löffler wird die Frage nach heute noch gültigen kolonialen Statussymbolen aufgeworfen.
Neben den Hinweisen auf Ausstellungen und Neuerscheinungen, die sich zu besuchen beziehungsweise zu lesen lohnen, erinnern Heidi Behrens und Paul Ciupke an ihren unerwartet verstorbenen Kollegen Norbert Reichling, der auch dem Forum Geschichtskultur eng verbunden war.
Im Namen der Redaktion wünsche ich Ihnen eine interessante und anregende Lektüre!
Susanne Abeck
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