Zeitschrift forum geschichtskultur ruhr

Heft 1/22
„IndustrieNatur und das Ruhrgebiet“


„Gras drüber …“, so nähert sich der Titel des Aufsatzes von M. Farrenkopf dem Umgang mit den landschaftlichen und ökologischen Belastungen des Bergbaus im innerdeutschen Vergleich. Kritisch bezogen auf die „grüne“ Metropole Ruhr könnte „Gras drüber …“ auch bedeuten, dass hier mit der Grünflächengestaltung ehemaliger Industrieareale sowie mit dem ungeordneten Überwuchern brachgefallener Industrieflächen dem Prinzip „Aus den Augen, aus dem Sinn“ folgend, eine nur oberflächliche ökologische Transformation postindustrieller Industrielandschaften erfolge. Aus unterschiedlichen Perspektiven wird in den Beiträgen des Heftschwerpunkts zur IndustrieNatur das auf einer Versöhnung von Region und Umwelt fußende postindustrielle Renaturalisierungsnarrativ im Ruhrgebiet aufgenommen, wobei neben diskursgeschichtlichen Aspekten (R. Kastorff-Viehmann, P. Eiringhaus) an den Beispielen des Umbaus der Hauptabwasserkloake Emscher(D. Bleidick, H. T. Grütter), des Kampfs um den ‚blauen‘ Himmel an der Ruhr (C. Möller) und den Veränderungen in der Landschafts- und Parkgestaltung (M. Farrenkopf, W. Gaida, D. Bessen) Konkretionen einer zukunftsfähigen IndustrieNatur diskutiert werden. Ob mit der IndustrieNatur eine neue Landschaftsästhetik entsteht, die sich mit veränderten Urbanitätskonzepten großstädtischer Regionen verbindet, bleibt nach der Lektüre der vorliegenden Texte offen.

Hinzuweisen ist ferner auf den Text von K. Wisotzky zu Otto Hue, der die wichtige – durchaus widersprüchliche – Rolle der Bergarbeiterbewegung in der deutschen Demokratiegeschichte des 20. Jahrhunderts aufzeigt. Die Produktivität von Erinnerung als historisch-politische Selbstvergewisserung wird in der Auseinandersetzung mit der Biografie von Otto Hue deutlich. Eine nach wie vor hohe Bedeutung von Geschichtsinitiativen für eine historisch kritische Aufarbeitung der NS-Geschichte im Ruhrgebiet zeigt der knappe Beitrag von S. Wycisk zum Zwangsarbeiterlager Bergener Straße in Bochum auf.

Das vorliegende Heft erscheint mit einer Beilage zum Thema „Digitale Geschichtskultur im Ruhrgebiet“. Ausgehend von der durch Corona intensivierten Dynamisierung digitaler Angebotsstrukturen von historischen Institutionen (Museen, Archive, Vereine …) fragte der 9. Geschichtskonvent Ruhr im Oktober 2021 nach neuen digitalen (partizipativen) Ansprachen für bereits etablierte Angebote sowie nach der Entwicklung genuin digitaler, über analoge Sichtweisen hinausreichender historisch argumentierender Realitätstransformationen (Virtual Reality, Augmented Reality).

Die Fülle an Hinweisen auf Ausstellungen, neu erschienenen Büchern und Aufsätzen (Rezensionen, Annotationen, Bibliographie) verweist auf die Produktivität der historischen Szene des Ruhrgebiets auch in Corona-Zeiten. Die Abonnenten unserer Mailingliste ‚Geschichtskultur Ruhr‘ erfahren zudem durch aktuelle Hinweise von den wieder stark zunehmenden Vorträgen, Diskussionsveranstaltungen, Lesungen etc., die auch wieder kommunikative Formen der Geschichtskultur in Präsenz zulassen. Ein Eintrag in die Mailingliste des Forums Geschichtskultur an Ruhr und Emscher lohnt sich!

Franz-Josef Jelich

Das Inhaltsverzeichnis des Heftes sehen Sie hier. Den Beileger können Sie hier einsehen und herunterladen.