Die Internationalisierung der Geschichtswissenschaft hinterlässt auch beim Forum Geschichtskultur Ruhr Spuren. Nach der letzten Ausgabe zur ‚Visual History‘ folgt nun ein Heft zur ‚Public History‘.
Alfons Kenkmann bestimmt den Begriff unangestrengt mit ‚Angewandte Geschichte‘, womit er die Geltendmachung von Geschichte im öffentlichen Raum als Kern von ‚Public History‘ ausweist. Die Beschäftigung mit der öffentlichen Repräsentation von Geschichte ist im deutschsprachigen Raum mit dem von Jörn Rüsen Anfang der 1990er Jahre formulierten analytischen Konzept ‚Geschichtskultur‘ verbunden. Historische Repräsentationen werden dabei nicht nur in ihren empirischen Erscheinungsformen, sondern auch reflexiv nach den ihnen zugrundeliegenden historischen Sinnbildungen befragt, um nicht zuletzt geschichtsdidaktische Fähigkeiten zur professionellen Vermittlung zu entwickeln.
‚Public History‘ wird zu Beginn des Heftschwerpunkts von J. Rüsen in einen theoretischen Bezugsrahmen zur ‚Geschichtskultur‘ gesetzt. Während der Aufsatz von H. T. Grütter den Wandel historischer Narrative in den Dauerausstellungskonzepten des Ruhrland-/Ruhr Museums mit gesellschaftlich veränderten Sichtweisen auf die Ruhrgebietsentwicklung seit den 1980er Jahren verbindet, thematisiert M. Farrenkopf differente Repräsentationsformen von Bergbaugeschichte im Ruhrgebiet, die auf unterschiedliche Darstellungsinteressen von Laienhistoriker*innen und von nach wissenschaftlichen Standards arbeitenden Professionellen zurückgehen. Eine diskursive Verknüpfung beider Akteursebenen zeigen S. Abeck und U. C. Schmidt für die seit den 1990er Jahren vom Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher bislang siebenmal durchgeführten Geschichtswettbewerbe zu Themen der Ruhrgebietsgeschichte auf, mit denen eine aktive Netzwerkbildung zur regionalen Geschichtskultur betrieben wurde/wird. Für A. Kenkmann ist die NS-Gedenkstättenarbeit ein klassisches Feld ‚angewandter Geschichte‘, die in explizit
historisch-kritischer Repräsentationsabsicht an nationalsozialistische Verbrechen erinnert – ein Ansatz, der im gegenwärtigen ‚Public History‘-Hype nicht aufgeweicht werden dürfe. B. Welzel stellt sich am Beispiel der stadträumlichen Wahrnehmung sakraler Baulichkeiten des Mittelalters der geschichtsdidaktischen Herausforderung, über das Aufzeigen von historischem Zusammenhangwissen Prozesse des Verstehens von Fremdem zu eröffnen. Die für die touristische Vermarktung des Ruhrgebiets zentrale ‚Route Industriekultur‘ wird von J. Golombek, L. Althoff und W. Jäger aus diversen Blickwinkeln betrachtet, um die mit der Route gegebenen Potentiale für eine kritische Sicht auf die regionale Industrialisierungs- und Gesellschaftsgeschichte einzufordern.
Obwohl die Corona-Pandemie uns weiterhin fest im Griff hat, werden eine Vielzahl von Ausstellungsprojekten in diesem Heft angezeigt, die für personale Besucher*innen konzipiert sind und für
diese geöffnet werden wollen. ‚Public History‘ lebt vom/im kommunikativen Austausch historischer Repräsentation. Trotz individueller Lektüre mögen die in dieser Forumsausgabe vorgestellten Texte und Bilddokumente Einladung sein, sich engagiert an Prozessen „kritischer Sinnbildung“ (J. Rüsen, S. 5 f.) für ein aufgeklärtes Geschichtsbewusstsein zu beteiligen.
Editorial
Franz-Josef Jelich
Das Inhaltsverzeichnis des Heftes sehen Sie hier.