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Vortrag
Ostjuden im Ruhrgebiet zur Weimarer Zeit – Ein neues Selbstbewusstsein? 28.02.19

Donnerstag, 28. Februar 2019, 19.00 Uhr

Ostjuden im Ruhrgebiet zur Weimarer Zeit – Ein neues Selbstbewusstsein?
Vortrag von PD Dr. L. Joseph Heid, Uni Duisburg-Essen

Seit den 1880er Jahren war Deutschland ein natürlicher Anziehungspunkt
für verfolgte Ostjuden, die sich immer dann auf Wanderschaft begaben,
wenn politische, ökonomische oder soziale Krisen die Existenz in ihren
Heimatländern gefährdeten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es im
Ruhrgebiet einen nennenswerten Zuzug von osteuropäischen Juden. Trotz
repressiver Ausländerpolitik, trotz ausgeprägtem Antisemitismus, gab es
für sie im Deutschland der Weimarer Republik eine Perspektive. Ihre
Anwesenheit führte zu einer Polarisierung der deutsch-jüdischen Gegensätze.

Die innerjüdischen Auseinandersetzungen trugen Züge eines Machtkampfes,
in welchem es nicht an Intrigen und persönlichen Eitelkeiten, an
unnötigen Schärfen und überspitzten Ideologien mangelte. Diese sog.
Ostjuden waren Menschen, die dem mittelständischen, kleinbürgerlichen
und proletarisierten Milieu entstammten. Sie waren traditionsbewusst und
entsprachen dem Bild von „typischen“ aus dem Osten stammenden Juden.

Sie wohnten unter sich, bildeten in den jeweiligen Städten ein eigenes
Quartier – Wohn und Geschäftsstraßen der „kleijnen Leit“. Da fanden sich
Kleinhandelskaufleute und Vertreter und vornehmlich
Nahrungsmittelhandwerker: Metzger, Bäcker, meist mit kleinem
Ladengeschäft. Dann: Milchläden, Fischgeschäfte, koschere Lebensmittel,
Eierhandlungen. All das ist durch die Verwerfungen des NS-Regimes
unwiederbringlich vernichtet worden. Die Lage der kleinen eigenen
Synagogen (Schtibl) markierte zugleich den Kristallisationspunkt der
Ostjudenviertel der Ruhrgebietsstädte.

Die Ablehnung der deutschen Juden gegenüber den ostjüdischen
Einwanderern hatte eine seiner Ursachen in der Betonung des Jüdischen in
Sprache (Jiddisch), Kleidung und religiösen Riten. Sie fürchteten, auf
ihrem Weg der Assimilation in die bürgerliche, deutsche Gesellschaft
behindert zu werden. Die assimilierten Juden waren beunruhigt, ja
verstört über die jiddische Kultur, die mit einem Mal inmitten ihrer
liberalen Zivilisation auftauchte. Aber es war auch ein Klassenproblem:
Deutsch-jüdisches Bürgertum gegenüber einem ostjüdischen Proletariat,
kleinbürgerlichen Handwerkern und Händlern.

Priv.-Doz. Dr. L. Joseph Heid, Historiker, Literaturwissenschaftler,
Publizist, Promotion 1982 (Universität Duisburg), Habilitation 1993
(Universität Potsdam), Venia legendi für Neuere Geschichte. Zahlreiche
Publikation zur deutsch-jüdischen Beziehungs- u. Literaturgeschichte,
Sozialgeschichte (Arbeiterbewegung) und zum Ostjudentum, u.a.: Arbeit
und Alltag im Revier. Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur im westlichen
Ruhrgebiet im Kaiserreich und in der Weimarer Republik (1985);
Deutsch-Jüdische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert (1992); Maloche –
nicht Mildtätigkeit. Ostjüdische Arbeiter in Deutschland 1914-1923
(1995); Der ewige Judenhass (2000); Oskar Cohn. Ein Sozialist und
Zionist (2002); Briefwechsel Arnold Zweig/Ruth Klinger (2005); Ostjuden
im Ruhrgebiet (2011); freier Mitarbeiter u. a.: Süddeutsche Zeitung; DIE
ZEIT; Die Welt; Der Freitag; Jüdische Allgemeine; Tachles (Zürich).
Mitherausgeber der Judaica-Reihe des Campus-Verlages Frankfurt.

Eine Veranstaltung der Reihe „Aufbrüche“,
media.essen.de/media/wwwessende/aemter/41/kultur/jahresthemen/Jahresthema-2019-1_Broschuere_WEB.pdf

Veranstaltungsort:
Alte Synagoge
Edmund-Körner-Platz 1, 45127 Essen