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Vortrag
Mythos ›Judenkommune‹ in Polen

Dienstag, den 7.11.2017 um 19.00 Uhr
Mythos ›Judenkommune‹
Ein politischer Kampfbegriff in Polen im 20. Jahrhundert
Veranstaltung mit Dr. Agnieszka Zagańczyk-Neufeld
in der Buchhandlung Lehmkul • Am Markt in Witten

In Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche, wenn die herkömmlichen Bilder über die Gesellschaft das Leben der Menschen nicht mehr erklären können und wenn sich Unsicherheit über die Zukunft und Angst breit macht, sind Verschwörungstheorien gefragt und werden Sündenböcke gesucht. Nach der weit mehr als hundert Jahre währenden Aufhebung des polnischen Staates in der Teilungszeit und der Reihe von gescheiterten Aufständen hat sich in Polen eine spezielle Sicht auf die Geschichte durchgesetzt. Sie kennt Helden, aber keine sozialen Bewegungen und gesellschaftlichen Interessen. Und alles wird unter das Interesse der einen großen Sache gestellt, die auserwählte, leidende, bedrohte polnische Nation. Im polnischen Mythos der Judenkommune ›Żydokomuna‹ verbindet sich die antisemitischen Vorstellung, dass die Juden den Kommunismus instrumentalisierten, um mit dessen Hilfe die Weltherrschaft zu errichten, mit einer ausgeprägten Russlandfeindlichkeit. Denn die kommunistische Bewegung wurde in Polen als ein Fremdkörper, etwas aus Russland bzw. der Sowjetunion mit Gewalt eingeführtes betrachtet. Die größte Rolle in diesem imaginierten Prozess der Unterjochung eines als ethnisch rein gedachten Polens, sollen Funktionäre jüdischer Herkunft gespielt haben. Die Referentin, die soziale Bewegungen in den Gesellschaften Mittel- und Osteuropas zu Beginn des 20. Jahrhunderts erforscht, wird nach den Ursprüngen dieses Mythos fragen. Diese und die gesellschaftlichen Funktion von Verschwörungstheorien machen den aktuellen Bezug des Vortrags deutlich. In ihrer Darstellung geht sie auf den „jüdischen Bolschewismus“ in der Sowjetunion und die soziale Zusammensetzung der kommunistischen Parteien in Polen ein und vergleicht diese mit propagandistischen Materialien über die sogenannte „jüdische Verschwörung“. ‚Kommunistisch‘, das kann bis heute vieles sein in Polen, was nicht die nationale Weihe und den Segen der Kirche hat. Zusammen mit dem Antisemitismus sind diese Verschwörungstheorien nicht nur in Polen bis heute nicht überwunden.

Dr. Agnieszka Zagańczyk-Neufeld studierte an den Universitäten Warschau, Marburg und der Ruhr-Universität Bochum. Sie ist heute wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Ruhr-Universität Bochum.

Eine Veranstaltung des Freundschaftsvereins Tczew – Witten e. V.
www.tczew-witten.de

Veranstaltungsort:
Buchhandlung Lehmkul
Marktstr. 5
58452 Witten