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Tagung
Menschen im Bergbau. Perspektiven auf Oral History

Tagung: Menschen im Bergbau. Perspektiven auf Oral History, Industriekultur und Vermittlung

Im Rahmen der Online-Tagung möchten wir ausgehend von dem Oral History-Projekt „Menschen im Bergbau“ über Chancen und Grenzen von (angewandter) Oral History in Vergangenheit und Gegenwart diskutieren. Dabei stehen u.a. Fragen nach der Rolle von Zeitzeug:innen für die Erinnerungskultur (des Ruhrbergbaus), nach Wirkmechanismen der Medialisierung von Zeitzeug:innen sowie der Auseinandersetzung mit Zeitzeug:innen im Schulunterricht zur Diskussion.

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Theresa Hiller, M.A./M.Ed., Dr. Marcel Mierwald, Dr. Stefan Moitra, Katarzyna Nogueira M.A. (Ruhr-Universität Bochum, Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets)
07.05.2021 – 08.05.2021
Anmeldeschluss: 15.04.2021

Oral History hat im Ruhrgebiet eine lange Geschichte und ist in gewissem Sinne dennoch eine Randerscheinung geblieben. Bereits das Pionierprojekt der bundesdeutschen Oral History, das Anfang der 1980er Jahre unter dem Titel „Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet“ (LUSIR) von Lutz Niethammer u. a. durchgeführt wurde, widmete sich auf Grundlage lebensgeschichtlicher Interviews den Erfahrungen der Arbeiterschaft im Ruhrgebiet vor, während und nach dem Nationalsozialismus. Gerade in methodisch-theoretischer Hinsicht wurden dabei Maßstäbe mit Blick auf das komplexe Verhältnis von historischer Erfahrung, Erinnerung und rückblickendem Erzählen gesetzt. Parallel dazu begannen zahlreiche Geschichtswerkstätten und historische Initiativen, durch die Arbeit mit Zeitzeug:innen dem Bemühen um eine „Geschichte von unten“ nachzukommen. Nicht zuletzt spielten in der Arbeit der Industriemuseen im Ruhrgebiet frühzeitig Zeitzeug:innen in mehrerlei Hinsicht eine Rolle dabei, die Arbeits- und Lebenswelt früherer Industriestandorte zu rekonstruieren. Als Museumsführer:innen wie auch als Träger:innen sozialer Erinnerung für Forschende und Kurator:innen wurden Zeitzeug:innen zu zentralen Protagonist:innen der historischen Vermittlung. Auch im schulischen Kontext hat die Auseinandersetzung mit Zeitzeug:innen immer mehr Berücksichtigung gefunden, von bundesweiten wie regionalen Geschichtswettbewerben bis hin zu zahlreichen lokalen Schulinitiativen, auch und gerade zur Industriegeschichte im Ruhrgebiet.

Bei all diesen Zugängen bleibt aber die Frage, welcher Stellenwert „Zeitzeug:innenschaft“ jeweils beigemessen wurde. Wer sind hier die Autor:innen welcher Geschichte? Welche Stimmen kommen zu Wort, welche bleiben ausgeblendet? Behalten die Befragten ein gewisses Maß an Agency (und ist dies im Sinne einer kritischen Geschichtsschreibung überhaupt wünschenswert?) oder werden sie zu Talking Heads reduziert, denen nurmehr eine affirmative, illustrierende oder emotionalisierende Funktion zukommt? Zu fragen wäre auch nach den unterschiedlichen Methoden und Rahmungen der Befragung und anschließenden Auswertung.

Vielleicht gerade im Nachklang des industriekulturellen Erinnerungsbooms im Jahr der letzten Zechenschließungen, 2018, mag es an der Zeit sein, auf die Praktiken der Oral History in der Industriekultur des Ruhrgebiets (und darüber hinaus) zu schauen. Ausgehend von den Ergebnissen des Projektes „Menschen im Bergbau“, das von 2015 bis 2018 zahlreiche lebensgeschichtliche Interviews zur Geschichte des Steinkohlenbergbaus in der Bundesrepublik gesammelt hat und das sich seitdem u. a. mit Fragen der Rezeption und Vermittlung von Zeitzeug:innenschaft im Ruhrgebiet beschäftigt, fragt die Online-Tagung nach methodischen und inhaltlichen Perspektiven in der industrie- und speziell bergbaubezogenen Geschichtskultur. Dabei wird es einerseits um eine Rückschau auf die vielfältigen Praktiken in der Arbeit mit Zeitzeug:innen gehen; andererseits werden Möglichkeiten einer zeitgemäßen Oral-History-Praxis diskutiert, nicht zuletzt auch mit Blick auf digitale Formen der Präsentation lebensgeschichtlicher Interviews. Zudem soll gefragt werden, welche inhaltlichen Verschiebungen sich in vierzig Jahren Erinnerungsarbeit ergeben haben und welche Themen sich für eine heutige Oral History in (vermeintlich) nach-industriellen Zeiten neu stellen. Schließlich wird es darum gehen, welche Chancen und Herausforderungen Zeitzeug:innen für das historisch-politische Lernen bereithalten. Dabei kann gerade der hier gewählte thematische Schwerpunkt des Steinkohlenbergbaus die Potentiale von Zeitzeug:innenberichten auch über die Thematiken von Diktaturerfahrungen und historischen Großereignissen hinaus verdeutlichen und mit Schlaglichtern auf Arbeit, Alltag, Strukturwandel, Migration u.a. neue Potenziale für den Geschichtsunterricht eröffnen.

Die vier leitenden Fragen der Veranstaltung lauten:
1. Wo zeigen sich die Chancen und Grenzen (angewandter) Oral History in Vergangenheit und Gegenwart? Was sind ihre Perspektiven für das Ruhrgebiet?
2. Welche Rolle spielten und spielen Zeitzeug:innen und ihre Erinnerungserzählungen für die Erinnerungskultur des Ruhrbergbaus? Wie zeigt sich der Umgang mit dem Spannungsverhältnis zwischen Agency und Repräsentation: Wer erzählt welche Geschichte(n)? Wessen Perspektive wird (nicht) gehört?
3. Welche Wirkmechanismen gehen mit der Medialisierung von Zeitzeug:innenschaft einher (u.a. Geschichtsschreibung, Museen, Film/TV)? Wie wird aus persönlichen Erzählungen die „kollektive Erinnerung“?
4. Was sind die Potenziale von Oral History (des Steinkohlenbergbaus) und/oder der Auseinandersetzung mit Zeitzeug:innen im Schulunterricht?

Die Tagung richtet sich an Forschende, Akteur:innen der Geschichtskultur ebenso wie an Lehrer:innen. Teilnehmende Lehrer:innen erhalten im Anschluss ein Teilnahmezertifikat der Professional School of Education (PSE) der Ruhr-Universität Bochum und können die Veranstaltung somit als Fortbildung anrechnen lassen. Bedingung dazu ist die Teilnahme an dem Workshop „Digitales Lernen mit Zeitzeug:innen. Das Projekt MiBLabor“.

Die Veranstaltung findet digital statt.

Eine Anmeldung ist bis zum 15. April 2021 möglich. Die Zahl der Teilnehmenden ist, insbesondere für den Workshop am zweiten Programmtag, begrenzt. Teile der Veranstaltung werden aufgezeichnet und im Anschluss online veröffentlicht.

Die Anmeldung erfolgt über dieses Onlineformular: public.ruhr-uni-bochum.de/anmeldung-mibtagung

Programm:

7. Mai 2021
10:00-10:45 Uhr
Begrüßung
Einführung in den Workshop
Vorstellung des Projekts „Menschen im Bergbau“

10.45-11:30 Uhr
Keynotes
Linde Apel (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg): „Oral History, Zeitgeschichte und die Geschichte der Arbeit“
Steffi de Jong (Universität zu Köln): „Die Ära des/der Zeitzeug*in. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“
Christiane Bertram (Universität Konstanz): „Zeitzeuginnen oder Interviewpartnerinnen? Mit der Methode der Oral History historisch denken lernen“

14:30-16:30 Uhr
Podiumsgespräch I: Rückblicke auf Oral History im Ruhrgebiet – Inhalte, Methoden und Motivationen
Moderation: Stefan Moitra, Katarzyna Nogueira
Gesprächspartner:innen: Gabriele Voss (RuhrFilmZentrum e.V.), Alexander von Plato (Fern-Universität Hagen), Martin Rosswog (Freier Fotograf), Jutta de Jong (Historikerin)

8. Mai 2021
9.00-12:00 Uhr
Workshop: Digitales Lernen mit Zeitzeug:innen. Das Projekt MiBLabor
Moderation: Theresa Hiller, Marcel Mierwald
Im Rahmen des Workshops wird die Lernplattform MiBLabor vorgestellt, die mit Oral History-Interviews ehemaliger Beschäftigter aus dem Steinkohlenbergbau arbeitet. Die Teilnehmenden erhalten die Gelegenheit, sich aufgabengeleitet mit der Lernplattform auseinanderzusetzen. Daran anschließend diskutieren wir Möglichkeiten und Herausforderungen des kompetenzorientierten Arbeitens mit Oral History-Interviews.

13:30-15:30 Uhr
Podiumsgespräch II: Oral History und Zeitzeugenschaft im Ruhrgebiet heute – Präsentationsformen und „Public Oral History“
Moderation: Stefan Moitra, Katarzyna Nogueira
Gesprächspartner:innen: Jana Golombek (LWL-Industriemuseum), Ulrich Kind (Erich-Fried-Gesamtschule Herne), Beate Schlanstein (WDR Fernsehen), Bengü Kocatürk-Schuster (DOMiD)

16:00-18:00 Uhr
Abschlussdiskussion
Moderation: Michael Farrenkopf (Deutsches Bergbau-Museum Bochum)
Leitkommentare: Achim Saupe (Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam),
Juliane Czierpka (Ruhr-Universität Bochum)

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mib@rub.de

Dr. Stefan Moitra
Montanhistorisches Dokumentationszentrum / Archiv & Bibliothek
DEUTSCHES BERGBAU-MUSEUM BOCHUM
Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen
Bessemerstraße 80
44793 Bochum
+49 (234) 5877-134
Stefan.Moitra@bergbaumuseum.de<mailto:Stefan.Moitra@bergbaumuseum.de>
www.bergbaumuseum.de<www.bergbaumuseum.de/>
Eine Einrichtung der DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung mbH
Sitz der Gesellschaft: Bochum
Registergericht: Amtsgericht Bochum | Handelsregister: B 4052
Geschäftsführung: Prof. Dr. Jürgen Kretschmann (Vorsitzender), Adolf Siethoff
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