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Tagung
„Herkunft

Freitag, 22. März 2024, 15 Uhr

*Tagung: „Herkunft, Besitz, Verantwortung“ – Aktuelle Fragen der
Provenienzforschung*

Die Provenienzforschung widmet sich der Historie und Herkunft von
Kunstwerken und Kulturgütern in zeitgeschichtlichen Kontexten.
Gegenstand der Provenienzforschung ist somit die Rekonstruktion der
Besitzgeschichte und das konkrete, oft sehr wechselvolle Schicksal eines
Kunstobjekts von seiner Entstehung bis in die Gegenwart. Besondere
rechtliche Herausforderungen und historische Verantwortlichkeiten
bestehen auf Seiten Deutschlands durch die Folgen massenhaften
Kunstraubes während des NS-Regimes und bei der sogenannten Beutekunst.
Nicht von ungefähr gehörte die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1998
zu den Unterzeichnerstaaten der sog. Washingtoner Erklärung, mit der
sich die der Übereinkunft verpflichteten Staaten zur Feststellung
während der NS-Zeit beschlagnahmter Sammlungsstücke in ihren Beständen,
dem Ermitteln rechtmäßiger Eigentümer und Erben sowie der Erarbeitung
einer „gerechten und fairen Lösung“ bereiterklärten. Provenienzforschung
hat sich seit den 2000er-Jahren als neue Teildisziplin der Geschichte
und mehr noch der Kunstgeschichte etabliert. Archive, Museen und
spezielle Forschungsinstitute arbeiten dabei meist Hand in Hand.

Die Recklinghäuser Tagung geht im Verlauf von sechs Beiträgen aktuellen
Fragen der Provenienzforschung nach und macht anhand konkreter Beispiele
die Bedeutung, den Erkenntniswert und die Unverzichtbarkeit dieser
jungen Wissenschaft plausibel.

Eine Tagung des Instituts für Stadtgeschichte und der Museen der Stadt
Recklinghausen. Der Eintritt ist frei.

*Ablauf und Mitwirkende*

Begrüßung und Einführung durch Dr. Nico Anklam und Dr. Matthias Kordes

/Warum Provenienzforschung? Potenziale im Jahr 2024/
Ein Kunstwerk wird kurz vor der Auktion aus einer Versteigerung genommen
– ein Museum wird aufgefordert, ein Gemälde zurückzugeben – eine
Privatperson möchte ein Kunstwerk vererben, welches möglicherweise in
der Familie mit einer schwierigen Erinnerung verknüpft ist. Was die
Vorkommnisse eint, ist der Umstand, dass die Herkunft von Kunst- und
Kulturgütern unmittelbare und mittelbare Auswirkungen auf die Gegenwart
hat. Der Vortrag lädt ein, historischen wie aktuellen Spuren von
Kunstwerken im Netzwerk damit verbundener ganz unterschiedlicher Akteure
zu folgen und zugleich Chancen und Perspektiven für die eigene
Beschäftigung mit dem Thema abzuleiten. Die Koordinationsstelle für
Provenienzforschung in NRW widmet sich Geschichten wie diesen. Sie ist
zentrale Ansprechpartnerin und praktischer Knotenpunkt in NRW rund um
das Thema der Herkunftsforschung.
/Jasmin Hartmann/, Leiterin der Koordinationsstelle für
Provenienzforschung in NRW, Bonn

/Ein Michael aus Olsztyn: Die Rückgabe einer gestohlenen Ikone/
2019 wurde dem Ikonen-Museum Recklinghausen eine bedeutende
Privatsammlung geschenkt. Unter den Objekten befand sich eine Ikone des
Erzengels Michael, die 1990 aus einem polnischen Museum gestohlen worden
war und in den Kunsthandel gelangte. Das Impulsreferat skizziert anhand
dieses Beispiels die Herausforderungen, die mit der Provenienzforschung
in Bezug auf Ikonen verbunden sind.
/Dr. Lutz Rickelt/, Leiter des Ikonen-Museums Recklinghausen
/
Aus Flammen gerettet? Zur Herkunft von drei Ikonen in der Sammlung
Recklinghausen/
Der Kasseler Kunsterzieher Ernst Röttger „rettete“ in seiner Funktion
als Gräberoffizier der Wehrmacht an der Ostfront „aus brennenden
Häusern“ drei Ikonen und übergab sie zwei Jahrzehnte später dem Museum
Recklinghausen. Anhand dieses Falls lässt sich rekonstruieren, wie
Kunstobjekte über private Schenkungen bzw. Nachkriegsverkäufe in
Museumssammlungen gekommen sind. Er zeigt, dass die Erforschung der
Herkunft dieser Art „privater Kriegsbeute“ eine besondere
Herausforderung darstellt, von Zufällen abhängt und ungewöhnliche
Quellenrecherche erfordert. Zugleich verdeutlicht das Fallbeispiel, dass
gerade auf den osteuropäischen Kriegsschauplätzen des Zweiten Weltkriegs
Kulturgüter auch jenseits des staatlich organisierten Kunstraubs in
großer Zahl auf unrechtmäßige Weise die Besitzer wechselten. Die
Sprechweisen und Rechtfertigungen, die für diese Aneignungen
zeitgenössisch gefunden wurden, wirken bis heute nach und sind ein Grund
dafür, dass von einem „Ost-West-Gefälle“ der deutschen
Provenienzforschung gesprochen werden kann.
/Dr. Corinna Kuhr-Korolev/, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

/Verlorene Kunstwerke des Vestischen Museums – Die NS-Aktion „Entartete
Kunst“ 1937 in Recklinghausen/
Am 24. August 1937 suchte eine Kommission der Reichskammer der Bildenden
Künste das Vestische Museum auf und konfiszierte 45 Objekte. Die
überwiegende Zahl bildeten Grafiken, jedoch befanden sich unter ihnen
auch sieben Ölgemälde und neun Aquarelle. Alle gehörten der seit 1925
bestehenden Abteilung „Die Heimat in der Kunst“ an, die sich durch
jährlich veranstaltete Sonderausstellungen zeitgenössischer Künstler
stetig weiterentwickelt hatte – unter ihnen wichtige Vertreter der
Moderne wie Peter August Böckstiegel, August Oppenberg, Wilhelm Morgner,
Käthe Kollwitz, Christian Rohlfs oder Max Schulze-Sölde. Die
Konfiszierung der Museumsobjekte durch das NS-Regime verursachte nicht
nur eine nachhaltige Verunsicherung in Bezug auf weitere
Sammlungsaktivitäten, sondern bescherte dem Vestischen Museum aus
heutiger Sicht auch einen immensen Wertverlust. Der Vortrag verschafft
einen kurzen Überblick über den verlorenen Bestand und geht dem
Schicksal ausgewählter Werke nach.
/Dr. Angelika Böttcher/, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für
Stadtgeschichte, Recklinghausen

/Wilhelm Morgner – Ein Sonderfall der Aktion „Entartete Kunst“/
Im Jahr 1937 wurden im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ insgesamt 83
Arbeiten von Wilhelm Morgner aus Museen im Rheinland und Westfalen
beschlagnahmt. Der im Alter von 27 Jahren als Soldat im Ersten Weltkrieg
gestorbene Morgner schuf schon 1912 abstrakte Bilder und zählt zu den
bedeutenden Expressionisten Deutschlands. 1943 kamen 24 Gemälde aus dem
Bestand der konfiszierten Werke zurück an die Stadt Soest. Wilhelm
Morgners Bilder können als Einzelfall der Aktion “Entartete Kunst”
betrachtet werden, denn ansonsten wurden kaum Werke an Museen oder
Privatpersonen zurückgegeben. Der Vortrag thematisiert Beschlagnahme und
Verbleib der entzogenen Werke und insbesondere das dubiose Auftauchen
einzelner Werke selbst einige Jahrzehnte nach dem Kunstraub durch das
NS-Regime.
/Thomas Drebusch/, Vorsitzender des Fördervereins Museum Wilhelm
Morgner, Soest

/Was uns Objekte erzählen können: Objektbiografien & Provenienz
Eine erste Bestandsaufnahme der Sammlung der Kunsthalle Recklinghausen/
Die Städtische Kunsthalle Recklinghausen wurde 1950 gegründet. Eine
eingehende Untersuchung der Sammlung, deren Kernbestand auf ihren ersten
Leiter Franz Große-Perdekamp zurückgeht, steht nach fast 75 Jahren immer
noch aus. Wie steht es aus heutiger Sicht um die Sammlung der Kunsthalle
mit Hinblick auf die Schicksale und Provenienzen ihrer Kunstwerke? In
einer initialen Bestandsaufnahme untersuchte die Provenienzforscherin
Anja Akikazu Matsuda, ob und welche Werke der Vorkriegszeit ab 1950 in
die Sammlung kamen und welche Wege diese gegebenenfalls zurückgelegt
hatten. Gelangten später möglicherweise auch Werke der klassischen
Moderne, die 1937 von den Nationalsozialisten als „entartet“ eingestuft
und aus dem bis 1944/45 von Franz Große Perdekamp betreuten Vestischen
Museum beschlagnahmt wurden, in Ausstellungen oder gar durch Ankäufe
oder Schenkungen in die Kunsthalle Recklinghausen?
/Anja Akikazu Matsuda/, Freie Provenienzforscherin & wissenschaftliche
Mitarbeiterin des Helbing Art Research Projects, Berlin

Um *Anmeldung* wird gebeten unter stadtgeschichte@recklinghausen.de.

*Veranstaltungsort*
Kunsthalle Recklinghausen‘
Große-Perdekamp-Str. 25-27, 45657 Recklinghausen