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Neuerscheinung
Kohle

Kohle, Koks und Kolonie. Das Verbundbergwerk Gneisenau in Dortmund
Derne, bearbeitet von Gabriele Unverferth, 464 Seiten, über 700 z. T.
farbige Abbildungen, Aschendorff Verlag, Münster 2020, ISBN
978-3-402-24641-2, 49,90 Euro

Mit der Stilllegung der Zeche und der Großkokerei Gneisenau in den
Jahren 1985 und 1989 ging die wechselvolle Geschichte des
Steinkohlenbergbaus in den nordöstlichen Dortmunder Stadtteilen zu Ende.
1886 hatte das Bergwerk nach verheerenden Wassereinbrüchen in der
Abteufphase die Förderung aufgenommen; 1891 gelangte es zusammen mit den
benachbarten Schachtanlagen Scharnhorst und Preußen in den Besitz der
1856 in Dortmund gegründeten Harpener Bergbau-AG. 1899 kam die seit 1861
in Betrieb befindliche Zeche Courl in Dortmund-Husen hinzu, die
allerdings bereits 1931 im Zuge der Weltwirtschaftskrise stillgelegt
werden musste, während Gneisenau und Scharnhorst zur Großschachtanlage
Gneisenau vereinigt wurden.

Von der 1958 einsetzenden Kohlenkrise blieb Gneisenau zunächst
verschont. Vielmehr wurde die Zeche unter wie über Tage noch einmal
großzügig ausgebaut und modernisiert. 1963 ging der zum neuen
Zentralförderschacht umgebaute Schacht Gneisenau 3 mit einem von dem
bedeutenden Industriearchitekten Fritz Schupp entworfenen Förderturm in
Betrieb. Mit der Übernahme des Baufelds Victoria 3/4 entstand zeitgleich
das Verbundbergwerk Gneisenau, das nach der Einbringung in die Ruhrkohle
AG als größte Zeche im Ruhrgebiet und als eine der bedeutendsten in
Europa gelten konnte. 1974 erreichte sie mit weit über 6.000 Bergleuten
und einer Jahresproduktion von 4,2 Millionen Tonnen Kohle die höchste
Förderung ihrer Geschichte. Da sich die Absatzkrise jedoch in den frühen
1980er Jahren weiter verschärfte, stellte Gneisenau am 4. August 1985
den Betrieb ein, 99 Jahre und sechs Wochen nach Aufnahme der Förderung.

Auf der rund 70 Hektar großen Industriebrache ist inzwischen ein
attraktives und lebendiges Quartier für Freizeit und Wohnen, Handwerk,
Handel und Gewerbe entstanden, dem die beiden erhalten gebliebenen,
einzigartigen Fördergerüste mit ihren Maschinenhallen einen
unverwechselbaren Charakter verleihen. Sie wurden 1989 unter
Denkmalschutz gestellt, befinden sich seit 1997 in der Obhut der
Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur und konnten so vor
dem drohenden Abbruch gerettet werden. Der nach Eugen Tomson, dem ersten
Direktor der Zeche Gneisenau benannte und 1885/86 über dem Schacht
Gneisenau 2 errichtete Tomson-Bock ist der letzte Vertreter seiner Art
und zugleich das älteste noch existierende stählerne Fördergerüst im
Ruhrgebiet – ein technisches Denkmal von herausragender Bedeutung. Diese
Sonderform des vor allem in Westeuropa weit verbreiteten englischen
Bockgerüsts erfreute sich auch im Ruhrbergbau bis in das frühe 20.
Jahrhundert hinein großer Beliebtheit, insbesondere auf den Zechen der
Harpener Bergbau-AG, die auf Betreiben Tomsons insgesamt 26 Schächte
damit ausstattete.

Das monumentale, 58 m hohe, als Landmarke weithin sichtbare und in
seiner Konstruktion auch im internationalen Vergleich einmalige
Fördergerüst über dem Schacht Gneisenau 4 mit seinen fast senkrecht
stehenden Streben wurde 1933/34 von der Firma Dortmunder Union
Brückenbau errichtet. Es symbolisiert in eindrucksvoller Weise die
Entwicklung der Zeche zur modernen Großschachtanlage und prägt als
Wahrzeichen und Industriedenkmal von überregionalem Rang bis heute das
Gesicht des maßgeblich vom Bergbau bestimmten Dortmunder Ortsteils Derne.

Zu den bedeutenden Relikten des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet sind
aber auch die beiden noch vorhandenen, mehr als 280 t schweren
Zwillings-Dampffördermaschinen des Schachts Gneisenau 4 zu rechnen, der
bis 1963 als Hauptförderschacht diente. Die nördliche Fördermaschine
wurde 1934 von der Gutehoffnungshütte in Oberhausen geliefert; ihre
Treibscheibe hat einen Durchmesser von sieben Metern. Die etwas kleinere
südliche Fördermaschine (Baujahr 1924/25) wurde von der stillgelegten
Zeche Kurl übernommen und nach Gneisenau umgesetzt. Beide Maschinen
waren auf eine Leistung von bis zu 4.200 PS ausgelegt; sie zählten zu
den stärksten der Harpener Bergbau-AG.

Als Partner der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur
kümmerte sich zunächst der Knappenverein Glück-Auf Gneisenau-Hostedde
1896 e.V. um die Erhaltung des nördlichen Maschinenhauses des Schachts
Gneisenau 4, das ihm im Mai 2004 von der Stiftung zur Nutzung übergeben
wurde. Heute wird diese Aufgabe vom 2009 gegründeten Förderkreis
Zechenkultur „Gneisenau“ e. V. mit Erfolg wahrgenommen. Neben der
Verbesserung und Pflege des baulichen Bestands setzen sich die
Mitglieder mit großem Engagement dafür ein, dass sich die Menschen im
Stadtteil, aber auch darüber hinaus mit dem historischen Erbe
beschäftigen und identifizieren. So öffnet der Verein regelmäßig am Tag
des offenen Denkmals seine Tore und trägt darüber hinaus mit seinen
vielfältigen Aktivitäten dazu bei, dass die Bergbautradition in Derne
lebendig bleibt und die Erinnerung an ein Bergwerk wach gehalten wird,
das fast ein Jahrhundert lang die wirtschaftliche Entwicklung des Ortes
und das Schicksal von Generationen von Bergleuten und ihren Familien
bestimmte.

Diesem Ziel dient auch das neue, in erster Linie von ehemaligen
leitenden Mitarbeitern des Verbundbergwerks Gneisenau verfasste und von
der Historikerin Gabriele Unverferth bearbeitete Buch. Es stützt sich
vor allem auf die reichen, größtenteils noch unveröffentlichten Quellen,
die im Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Dortmund verwahrt werden.
Eingebunden in die Geschichte der Harpener Bergbau-AG und des
Ruhrbergbaus, wissenschaftlich fundiert, aber verständlich geschrieben,
beleuchtet es die wirtschaftliche und technische Entwicklung der Zechen
Gneisenau, Scharnhorst und Courl/Kurl in allen Facetten. Aber auch der
Sozialgeschichte ist viel Raum gewidmet. Das Buch erzählt u. a. von der
Herkunft und Zusammensetzung der Belegschaften, vom Charakter und den
Gefahren der Arbeit vor Ort, vom Kampf der Bergleute um die Verbesserung
ihrer Arbeitsbedingungen und ihrer sozialen Lage, vom Überleben in
Kriegs- und Krisenzeiten, von den Wohnverhältnissen in den
Bergarbeitersiedlungen und von den zahlreichen anderen Einrichtungen der
betrieblichen Sozialpolitik.