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Lehrstuhl Zeitgeschichte der RUB legt Studie über die Treuhandanstalt vor

Marcus Böick und Prof. Dr. Constantin Goschler vom Lehrstuhl
Zeitgeschichte der Ruhr-Universität Bochum (RUB) legen
Studie über die „Wahrnehmung und Bewertung der Arbeit der
Treuhandanstalt“ vor

Zwischen 1990 und 1994 verantwortete die Treuhandanstalt die
beschleunigte Umgestaltung der sozialistischen DDR-Planwirtschaft in
eine soziale Marktwirtschaft. Schon damals war ihr forciertes Vorgehen,
insbesondere die zahlreichen Privatisierungen und Schließungen
ostdeutscher Betriebe in Öffentlichkeit, Politik und insbesondere in der
ostdeutschen Gesellschaft stark umstritten.

Im Rahmen einer im Herbst 2016 in Auftrag gegebenen zeithistorischen
Studie hat die Ruhr-Universität Bochum nun erstmals die langfristigen
Wirkungen von Treuhandanstalt und Wirtschaftsumbau in der gegenwärtigen
Erinnerungskultur untersucht. Ziel war dabei eine erinnerungskulturelle
„Inventur“, die die verschiedenen Wahrnehmungen und rückblickenden
Bewertungen abbildet und einordnet. Hierfür wurden die
medienöffentlichen Auseinandersetzungen der vergangenen 25 Jahre
analysiert, zahlreiche frühere Treuhand-Führungskräfte, ostdeutsche
Treuhand-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Experten im Umfeld der
Treuhand befragt sowie im Frühjahr 2017 eine Umfrage mit 500 Personen in
Ostdeutschland durchgeführt.

Die besondere Stellung der Treuhandanstalt als kurzfristig eingesetzte
„Wirtschaftsregierung“, die ursprünglich nach den Vorstellungen des
Runden Tisches vom Februar 1990 für eine gerechte Aufteilung des
DDR-Volksvermögens sorgen sollte, hat markante Spuren in der
Erinnerungskultur hinterlassen. Die medienöffentlichen Debatten sowie
die wirtschaftspolitischen Diskussionen erscheinen seit den frühen
1990er-Jahren zwischen Verteidigung, Kritik und Skandalisierung
erstarrt. Ehemalige Treuhand-Führungskräfte deuten ihr Engagement
rückblickend als außergewöhnlichen Höhepunkt ihrer Berufslaufbahn,
hadern jedoch mit ihrem anhaltend negativen Image. Insbesondere unter
älteren Ostdeutschen (über 40 Jahren) erweist sich die Organisation als
zentraler erinnerungskultureller Bezugspunkt und wird überwiegend mit
„Ausverkauf“ und „Abwicklung“ verbunden, während sie jüngeren Befragten
hingegen kaum noch ein Begriff ist.

Die Autoren der Studie umschreiben dies mit einer erinnerungskulturellen
„Bad Bank“, bei der vor allem die ostdeutsche Erlebnisgeneration ihre
negativ besetzten Umbruchserfahrungen symbolisch abgeladen hat. Die
Erinnerung an die Tätigkeit der Treuhandanstalt erweist sich als ein
prägender Faktor der politischen Kultur Ostdeutschlands.

Angesichts dieses Befundes empfehlen die Autoren, die künftige
Auseinandersetzung mit der Treuhandanstalt sowie mit der
Transformationszeit im Allgemeinen über die bloße Fortschreibung der
mythisierten Frontstellungen und polarisierten Deutungen hinauszuführen.
Hierzu könne vor allem die gerade einsetzende zeithistorische Forschung
einen wichtigen Beitrag zur Differenzierung über entsprechende
empirische Fallstudien leisten. Notwendig erscheine hierfür insbesondere
eine umfassende Erschließung der umfangreichen Quellenbestände der
Treuhandanstalt durch das Bundesarchiv, die allen interessierten
Forscherinnen und Forschern zugänglich gemacht werden sollten.

Kurz- und Langfassung der Studie auf der Internetseite des
Bundeswirtschaftsministeriums:
www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2017/20171124-gleicke-legt-treuhandstudie-vor.html