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Katalog
Die Liste der
Bildende Künstler wie Willy Meller (1887-1974) und Adolf Wamper
(1901-1977) aus dem Ruhrgebiet zählten zu den im NS sogenannten
‚gottbegnadeten‘ Künstlerinnen und Künstlern, die auch in der
Bundesrepublik an ihre Karriere im Nationalsozialismus anschließen konnten.
Eine Ausstellung und ein Katalog des DHM steht unter dem Titel „Die
Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der
Bundesrepublik“.
Die Rezension ist der Plattform H-Soz-Kult entnommen:
Berlin, 27.08.2021-05.12.2021
Deutsches Historisches Museum
WWW:
<www.dhm.de/ausstellungen/die-liste-der-gottbegnadeten-kuenstler-des-nationalsozialismus-in-der-bundesrepublik/#/>
Katalog: Gross, Raphael; Brauneis, Wolfgang (Hrsg.): Die Liste der
„Gottbegnadeten“. Künstler des Nationalsozialismus in der
Bundesrepublik. München: Prestel Verlag 2021. ISBN 978-3-7913-7922-7 /
978-3-86102-224-4 (Museum); 216 S., zahlr. Abb.; EUR 34,00 (Buchhandel)
/ EUR 20,00 (Museum).
Rezensiert für H-Soz-Kult von:
Darja Jesse, DFG-Graduiertenkolleg 2227 „Identität und Erbe“, Technische
Universität Berlin
Vor dem Eingang zum Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München steht eine
bronzene Pferdeplastik auf einem steinernen Sockel. Es handelt sich um
das „Denkmal der deutschen Kavallerie 1870-1945“. Auf dem rechten
vorderen Huf sind die Künstlersignatur und die Datierung angebracht:
„Bernh. Bleeker 1960.“ Über den Bildhauer Bernhard Bleeker (1881-1968)
ist in den Akten im Bayerischen Hauptstaatsarchiv unter anderem seine
Teilnahme an den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ nachzulesen, den
Leistungsschauen der bildenden Kunst im Nationalsozialismus. Überdies
erhielt er zahlreiche Aufträge während des NS-Regimes und wurde 1944 in
die Liste der „gottbegnadeten“ Künstlerinnen und Künstler aufgenommen,
die während des Zweiten Weltkriegs vom Front- und Arbeitseinsatz
freigestellt blieben. Die Ausstellung „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘.
Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ im Deutschen
Historischen Museum (DHM) fokussiert, ausgehend von diesem Verzeichnis,
Bildwerke im (halb-)öffentlichen Raum – wie Bleekers Plastik von 1960 –
und die sich darin manifestierenden Künstlerkarrieren der
Nachkriegszeit.
Bild:
<hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/rezausstellungen/rezausstellungen-387–Abb1–public.jpg>
Abb. 1: Das „Denkmal der deutschen Kavallerie 1870-1945“ (1960) von
Bernhard Bleeker vor dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München. Für
weitere Bilder dieses Objekts siehe auch
storage.googleapis.com/dhm-gottbegnadete/6qv8WcJPDT9eaFVv/index.html#/works/NbvgG2rz2PlMTveIrSPx
(06.10.2021).
(Foto: Deutsches Historisches Museum, Eric Tschernow)
Konzeptionell ist die Ausstellung das Pendant zur zwei Monate zuvor im
DHM eröffneten Schau „documenta. Politik und Kunst“ (noch bis zum 9.
Januar 2022:
www.dhm.de/ausstellungen/documenta-politik-und-kunst/#/,
03.10.2021). Den zeitlichen, geografischen und politischen Rahmen
definiert die erstmals 1955 veranstaltete documenta: Im Kern beider
Ausstellungen geht es um bildkünstlerische und kulturpolitische
Praktiken in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg – und um
deren Akteure. Während in der documenta-Ausstellung die Verschränkungen
von Kunst, politischem Kalkül und kunsthistorischer Kanonbildung
betrachtet werden, untersucht die Ausstellung zu den „Gottbegnadeten“
diejenigen Künstler, die jenseits dieses Kanons künstlerisch tätig waren
und an ihre Karrieren im Nationalsozialismus anknüpften. Sie arbeiteten
nach 1945 weiterhin gegenständlich, wurden mit prestigeträchtigen
Aufträgen bedacht, lehrten an Kunstakademien, wurden mit Preisen und
Förderungen geehrt. Die sich über zwei Etagen entwickelnde Schau ist in
drei Kapitel strukturiert: „Die ‚Gottbegnadeten‘ im NS-Kunstbetrieb“,
„Auftragskunst und Netzwerke nach 1945“ sowie „Ausstellungen und
Reaktionen nach 1945″. Im Vorwort zum Katalog nennt Raphael Gross, der
Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, sehr klar eine
zentrale Erkenntnis: „In der Kunst gab es nach dem Ende der
NS-Herrschaft genauso wenig eine ‚Stunde Null‘ wie in fast allen anderen
Bereichen der deutschen und auch österreichischen Gesellschaft.“ (S.
11)
Das erste Kapitel der Präsentation befasst sich mit den
Rahmenbedingungen für die Kunstproduktion in der Zeit des
Nationalsozialismus und führt die später genauer vorgestellten Künstler
ein. Die drei Sektionen des Ausstellungskapitels – „Die
‚Gottbegnadeten-Liste'“, „Kunstpolitik im Nationalsozialismus“ und
„Großprojekte im Nationalsozialismus“ – sind räumlich und inhaltlich eng
miteinander verwoben. Ausgangspunkt der von Wolfgang Brauneis, unter
Mitarbeit von Ambra Frank und Swantje Greve, kuratierten Schau ist die
Liste der „Gottbegnadeten“, die im September 1944 auf Initiative von
Adolf Hitler und Joseph Goebbels erstellt wurde. Ein Auszug aus der
Liste wird am Beginn der Ausstellung in einer Vitrine präsentiert (die
Gesamtliste liegt zum Durchblättern als Reproduktion aus). Darauf sind
die Namen von Schriftstellern, bildenden Künstlern und Musikern zu
lesen. Die dazugehörige Texttafel erklärt: „378 Künstlerinnen und
Künstler aus den Bereichen Literatur, Musik, Bildende Kunst und Theater
wurden […] von Wehrdienst und Arbeitseinsatz im Rüstungsbetrieb
freigestellt“, darunter 114 Bildhauer und Maler (ausschließlich Männer).
Grundlage der „Gottbegnadeten“-Liste sei, so heißt es in dem Text
weiter, die sogenannte „Führerliste“ gewesen, die bereits zu
Kriegsbeginn diejenigen Künstlerinnen und Künstler verzeichnete, die als
„unabkömmlich“ vom Militärdienst ausgenommen werden sollten.
Bild:
<hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/rezausstellungen/rezausstellungen-387–Abb2–public.jpg>
Abb. 2: Blick in den ersten Ausstellungsraum mit einem Auszug aus der
Liste der „Gottbegnadeten“ im Vordergrund
(Foto: Deutsches Historisches Museum, Yves Sucksdorff)
Die Sektion „Kunstpolitik im Nationalsozialismus“ beleuchtet pointiert
Entwicklungen und Ereignisse, darunter die Verfolgung von Künstlerinnen
und Künstlern aufgrund der „Rassegesetze“, die Ablehnung von modernen
und sozialkritischen Positionen sowie das Verbot der als „jüdisch“
verfemten Kunstkritik. Nahtlos grenzt hieran die Sektion zu
künstlerischen Großprojekten. Die Ausstellung bespricht im Einzelnen:
die Festumzüge am 1937 eingeführten „Tag der Deutschen Kunst“; die
„Großen Deutschen Kunstausstellungen“ der Jahre 1937 bis 1944; die
Dekorationsprogramme am „Haus der Deutschen Kunst“ in München und an der
Neuen Reichskanzlei in Berlin; umfassende Skulpturenprogramme am
Berliner Reichssportfeld, an der NS-Ordensburg Vogelsang und am
Nürnberger Reichsparteitagsgelände. Mehrere Künstler aus der Liste der
„Gottbegnadeten“ waren an diesen Vorhaben als Bauplastiker,
künstlerische Leiter oder Grafiker beteiligt, darunter Hermann Kaspar,
Richard Klein, Willy Meller, Josef Thorak und Josef Wackerle.
Das umfassendste und bedeutendste Ausstellungskapitel „Auftragskunst und
Netzwerke nach 1945″ beleuchtet exemplarisch am Beispiel von acht
Bildhauern und vier Malern aus fünf Regionen die künstlerische
Produktion der einst „Gottbegnadeten“ in den frühen
Nachkriegsjahrzehnten. Übersichtlich strukturiert können nacheinander
die Sektionen zu Bayern, Ruhrgebiet, Rheinland, Berlin und Österreich
durchschritten werden, welchen die ausgewählten Künstler zugeordnet
sind. Es seien hier die ersten drei Regionen etwas genauer vorgestellt.
Bild:
<hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/rezausstellungen/rezausstellungen-387–Abb3–public.jpg>
Abb. 3: Raumansicht der Ausstellungssektion „Auftragskunst und
Netzwerke: Bayern“. Links: Gobelin „Die Frau Musica“ (1969) von Hermann
Kaspar aus der Nürnberger Meistersingerhalle.
(Foto: Deutsches Historisches Museum, Yves Sucksdorff)
Den Ausstellungsraum zu Bayern dominiert der Gobelin „Die Frau Musica“
(1969) von Hermann Kaspar (1904-1986), der seit 1970 die
Meistersingerhalle in Nürnberg schmückt. Rechts neben dem Original ist
eine großformatige Fotoreproduktion von der Enthüllung des Gobelins zu
sehen (dieses Bild ist zugleich das Covermotiv des Katalogs). Manche der
größtenteils in Rückenansicht aufgenommenen Anwesenden führen Gespräche
miteinander, andere blicken zum soeben enthüllten Wandbehang. Die
Verwendung von solchen historischen Fotografien ist Teil des Konzepts,
zumal sich viele bildhauerische Arbeiten weiterhin im öffentlichen Raum
befinden und nicht ins Museum transportiert werden können. Schaut man
sich in der Ausstellung um, fällt auf, dass die besprochenen Kunstwerke
auf den Fotos fast nie isoliert erscheinen. Stets sind sie von Menschen
umgeben. Häufig sind es die Künstler selbst, die beim Arbeiten oder bei
einer Atelierbegehung mit Gästen fotografiert wurden. Meistens jedoch,
wie bei Kaspars „Die Frau Musica“, werden die Kunstwerke bei ihrer
Enthüllung oder Aufstellung gezeigt, in Anwesenheit eines größeren
Publikums. Die Besucher:innen im DHM schauen den zeitgenössischen
Betrachter:innen gewissermaßen beim Betrachten zu. Neben den
Künstlerkarrieren und -netzwerken versucht die Ausstellung deren
öffentliche Wahrnehmung sichtbar zu machen. Zu allen näher vorgestellten
Künstlern hat das Ausstellungsteam zudem zeitgenössische Pressestimmen
recherchiert und präsentiert in den Vitrinen historische Zeitungen,
Magazine und Broschüren. So auch zu „Die Frau Musica“: 1965 begann eine
Debatte um den Auftrag für den Gobelin, nachdem ein Journalist über die
prominente Rolle Kaspars im NS-Kulturbetrieb geschrieben hatte. Drei
Jahre später gestalteten Studierende der Kunstakademie München eine
Ausstellung zum Thema. Auf einer Fotografie ist zu sehen, wie Kaspar die
mit Hakenkreuzen beschmierte Tür zu seinem Atelier betritt. Seine Klasse
hielt aber zu ihrem Professor: „Alle fordern Mitbestimmung / WIR AUCH /
Die Klasse Kaspar hat sich für Professor Kaspar entschieden“,
formulierten seine Student:innen auf einem Flugblatt.
Im nächsten Raum werden Willy Meller (1887-1974) und Adolf Wamper
(1901-1977) stellvertretend für die einst „Gottbegnadeten“ im Ruhrgebiet
präsentiert. Dem Bildhauer Meller, der zu Beginn der Ausstellung mit
seinen Figurenprogrammen für das Reichssportfeld und die NS-Ordensburg
Vogelsang vorgestellt wurde, begegnet man hier mit gänzlich anderen
Bildthemen. 1962 erhielt Meller die Zusage für die Skulptur „Die
Trauernde“, welche vor den Gedenkräumen an die Opfer des
Nationalsozialismus in Oberhausen aufgestellt wurde – der ersten mit
einer Dauerausstellung verbundenen NS-Gedenkstätte in der
Bundesrepublik. Zuvor hatte Meller in seiner Skulpturengruppe „Die
Opfer“ (1950-1955) die Zeit des Zweiten Weltkriegs in der Stadt Frechen
künstlerisch verarbeitet. „In den 2000er Jahren regte sich öffentlicher
Unmut […] und die Geschichte des Denkmals sowie die Biografie Mellers
wurden kritisch aufgearbeitet“, heißt es über „Die Trauernde“ im
Begleitband (S. 129). Mit einer Ausstellung und einer Informationstafel
kontextualisiert die Stadt Oberhausen die Skulptur heute.
Bild:
<hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/rezausstellungen/rezausstellungen-387–Abb4–public.jpg>
Abb. 4: Blick in die Ausstellungssektion „Auftragskunst und Netzwerke:
Rheinland“. Im Vordergrund: Rückenansicht der „Pallas Athene“ von Arno
Breker (1956/57); im Hintergrund links das Gemälde „Allegorie des
Friedens“ von Werner Peiner (1954) und rechts die „Büste von Karl Marx“
von Hans van Breek [Hans Breker] (1949).
(Foto: Darja Jesse)
Von solchen jüngeren Auseinandersetzungen mit Kunstwerken der ehemals
„Gottbegnadeten“ wird in der Ausstellung und im Begleitband häufig
berichtet – so auch über Arno Brekers Bronze „Pallas Athene“, die in der
Sektion „Rheinland“ zu sehen ist. Aufgestellt wurde sie 1957 vor einem
Gymnasium in Wuppertal. In den frühen 2000er-Jahren entbrannte eine
öffentliche Debatte über den künftigen Umgang mit der Plastik. Es sei
nun geplant, „die Skulptur durch ein künstlerisches Gegenstück zu
‚entschärfen'“, ist im Begleitband zu lesen (S. 59). Mit dem Bildhauer
Arno Breker (1900-1991) und dem Maler Werner Peiner (1897-1984) begegnen
den Besucher:innen in dieser Ausstellungssektion zwei der prominentesten
Akteure des nationalsozialistischen Kunstbetriebs. Weniger bekannt ist
Hans Breker, der nach dem Krieg unter dem Pseudonym Hans van Breek eine
Professur an der Staatlichen Hochschule für Baukunst und Bildende Künste
in Weimar innehatte. Aus dieser Zeit stammt die in der Ausstellung
präsentierte Büste von Karl Marx. Die Weimarer Professur gab Hans Breker
1954 auf, um seinem Bruder Arno nach Düsseldorf zu folgen. Beide
erhielten dort zahlreiche öffentliche und private Aufträge.
In den fünf ausgewählten Regionen, so die Leitidee dieses
Ausstellungskapitels, konnten die Künstler nach 1945 besonders gut auf
die Netzwerke aus der Zeit des Nationalsozialismus zurückgreifen. Teils
vermittelten ehemals „gottbegnadete“ Architekten einst „gottbegnadeten“
Bildhauern Aufträge für Kunst am Bau. Aber auch im akademischen Betrieb
und in der freien Wirtschaft konnten die Künstler ihre Netzwerke
bruchlos weiterpflegen. Dass diese regionalen Netzwerke nicht hermetisch
abgeschlossen waren, versinnbildlichen in der zurückgenommenen und
durchdachten Ausstellungsarchitektur die Durchblicke zwischen den
einzelnen Themenbereichen. Sie können als räumliche Metapher für
zeitliche Kontinuitäten, personelle Überschneidungen und durchlässige
Strukturen verstanden werden. Etwas aus dem Blick gerät allerdings, dass
etliche „Gottbegnadete“ nicht nur im NS-Regime und in der Bundesrepublik
künstlerisch tätig waren, sondern bereits vor 1933 als etablierte
Künstler galten. Manchen gelang es, in drei oder gar vier politischen
Systemen künstlerische Erfolge zu erzielen. Zu solchen zählt der
eingangs erwähnte Bernhard Bleeker, der bereits 1922 als ordentlicher
Professor an die Akademie der Bildenden Künste München berufen wurde und
etliche Werke vor 1933 schuf. Dies wirft die Frage auf, ob die
diskutierten Netzwerke der Nachkriegszeit nicht wenigstens zum Teil noch
auf die Schaffensphasen vor dem NS-Regime zurückzuführen sind.
Das dritte Kapitel, „Ausstellungen und Reaktionen nach 1945“,
thematisiert die Sichtbarkeit der vorgestellten Künstler und die
Wahrnehmungsgeschichte ihres Schaffens. Zwei großformatige Ölgemälde des
Marinemalers Claus Bergen (1885-1964) spiegeln die Ambivalenzen dieser
Rezeptionsgeschichte wider. Das Gemälde „Schwerer Kreuzer ‚Prinz Eugen‘
im Gefecht in der Dänemarkstraße“, welches 1944 auf der „Großen
Deutschen Kunstausstellung“ in München präsentiert und dort von Adolf
Hitler angekauft worden war, wurde nach Kriegsende im Rahmen der
Entnazifizierungsmaßnahmen als Propagandakunst von der US-Armee
konfisziert und in die USA verbracht. Kriegsverherrlichende Bilderwelten
aus dem Nationalsozialismus sollten den Werten einer künftigen
demokratischen Gesellschaft möglichst nicht im Weg stehen. Dass solche
traditionellen Sujets der Marinemalerei, wie Bergen sie bevorzugte,
jedoch nicht nur weiterhin produziert wurden, sondern auch den
Publikumsgeschmack trafen, wird an dem daneben präsentierten Gemälde
„Das letzte Gefecht der ‚Bismarck'“ ersichtlich. Es wurde von Bergen
1949 fertiggestellt und gelangte als Schenkung des Industriellen Hermann
Reusch 1963 an die Marineschule Flensburg-Mürwik, wo es bis heute zu
sehen ist.
Bild:
<hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/media/rezausstellungen/rezausstellungen-387–Abb5–public.jpg>
Abb. 5: Blick in das Ausstellungskapitel „Ausstellungen und Reaktionen
nach 1945″. Links: Claus Bergens Gemälde „Das letzte Gefecht der
‚Bismarck'“ (1949) und „Schwerer Kreuzer ‚Prinz Eugen‘ im Gefecht in der
Dänemarkstraße“ (vor 1944). Rechts: Arno Brekers Porträtbüsten von Peter
und Irene Ludwig (1986).
(Foto: Darja Jesse)
Auch die in den 1980er-Jahren durch zwei Porträtbüsten Arno Brekers
ausgelöste und verbissen geführte Debatte um die Ausstellbarkeit jener
Künstler, die während des Nationalsozialismus Karrieren gemacht hatten,
wird in der Schau thematisiert. Der Bildhauer porträtierte 1986 das
Ehepaar Peter und Irene Ludwig, welches das Museum Ludwig in Köln mit
einer umfangreichen Kunstsammlung der Klassischen Moderne gestiftet
hatte. Im Neubau des Museums sollten auch Brekers Büsten aufgestellt
werden, was zu einer langen Auseinandersetzung um moralische und
ästhetische Kategorien führte, an der sich neben Peter Ludwig zahlreiche
Vertreter:innen aus Museen, Universitäten und dem Kunstbetrieb
beteiligten.
Am lebendigsten werden die Auseinandersetzungen mit den inzwischen
allesamt verstorbenen „Gottbegnadeten“ in historischen Fernsehinterviews
mit den Künstlern. Dieses nur mühevoll aufzufindende Videomaterial
bereichert verschiedene Ausstellungssektionen. Es erinnert daran, dass
die Künstler noch vielfältig aktiv waren, als in den
1960er-/1970er-Jahren die ersten Bücher und Ausstellungen zur Kunst im
Nationalsozialismus erschienen. Ein besonders eindrückliches Beispiel
für das Selbstverständnis vieler ehemals „Gottbegnadeter“ ist das
Fernsehinterview des Westdeutschen Rundfunks mit Werner Peiner 1975, der
sich darin als „Emigrant in [seinem] Vaterlande“ stilisierte, von
„deutschem Zusammenbruch“ sprach und mit Blick auf seine Werke darüber
sinnierte, dass bei einem anderen Ausgang des Zweiten Weltkrieges „diese
Seite der Kunst tragend geworden“ wäre.
Abschließend richtet die Ausstellung den Blick nach draußen. Als
Projektionen sind im letzten Raum Fotografien von etwa 300 Kunstwerken
der einst „gottbegnadeten“ Künstler an ihren heutigen Standorten im
öffentlichen Raum zu sehen – die Bilder wurden im Rahmen des
Ausstellungsprojekts eigens angefertigt. Jederzeit einsehbar ist der
Fotobestand online auf einer interaktiven Karte, die künftig um
zusätzliche Funktionen und Kunstwerke erweitert werden soll
(storage.googleapis.com/dhm-gottbegnadete/6qv8WcJPDT9eaFVv/index.html#/,
06.10.2021). Darin werden weitere Kontexte, Motive und Materialien
ersichtlich: banal erscheinendes Bau- oder Stadtraumdekor (wie der
Einhorn-Brunnen von Hermann Geibel aus dem Jahr 1956 in Darmstadt), aber
auch zahlreiche symbolpolitische Auftragswerke. Dies schärft den Blick
für die Kunst im öffentlichen Raum sowie die dahinter liegenden
historischen und politischen Dimensionen.
„Die Liste der ‚Gottbegnadeten'“ ist die erste Ausstellung zu
erfolgreichen Künstlern des Nationalsozialismus, die sich dezidiert
deren Nachkriegskarrieren widmet. Damit wagt sie sich in einen bislang
weitgehend unerforschten Bereich und legt zugleich akademische
Leerstellen offen. Es fehlen in erster Linie monografische
Untersuchungen zu vielen der hier vorgestellten Künstler. Ein
Forschungsdesiderat ist zudem eine diskurshistorische Einordnung der
unterschiedlichen Debatten aus vier Nachkriegsjahrzehnten rund um die
Kunst aus dem Nationalsozialismus – Debatten, die in der Ausstellung nur
schlaglichtartig beleuchtet werden konnten. Womöglich regt die Schau die
Forschung dazu an, eine umfassende quellenbasierte Diskursgeschichte zu
erarbeiten, welche die Bereiche Politik, Gesellschaft, Kunstmarkt und
Kunstgeschichte vereint. Mit den Rechercheergebnissen zu den
ausgewählten Künstlern, aber auch mit den digital erfassten Objekten
bietet die Ausstellung einen kaum zu überschätzenden Beitrag zur
Grundlagenforschung.
Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Jan-Holger Kirsch<kirsch@zzf-pdm.de>
URL zur Zitation dieses Beitrages
<hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezausstellungen&id=387>