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Buchvorstellung
„Es ist mit einem Schlag alles so restlos vernichtet“. Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Münster

Donnerstag, 12. April 2018, 18 Uhr

„Es ist mit einem Schlag alles so restlos vernichtet“, schrieb die
jüdische Medizinstudentin Luise Charlotte Brandenstein am 12. Februar
1935 an ihre Freundin, nachdem sie erfahren hatte, dass Juden nicht mehr
zum Staatsexamen zugelassen wurden. Damit war ihre berufliche Zukunft
zerstört. Luise Charlotte Brandenstein ist eine von 81 ehemaligen
Studierenden, Dozenten und nicht-wissenschaftlichen Mitarbeitern, denen
die seinerzeit Verantwortlichen der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster (WWU) im Nationalsozialismus Unrecht angetan haben. Diese und 29
weitere Lebensgeschichten sind jetzt in der Schriftenreihe des
Universitätsarchivs erschienen.

Das 1052 Seiten starke Buch mit dem Titel „‚Es ist mit einem Schlag
alles so restlos vernichtet‘. Opfer des Nationalsozialismus an der
Universität Münster“ ist der Abschluss des Projektes „flurgespräche“.
Ziel der im Jahr 2014 gestarteten Arbeit war es, Biografien von Personen
zu erforschen, die während der NS-Zeit vonseiten der WWU behindert,
drangsaliert, ausgeschlossen und verfolgt wurden. „Wir haben die
Perspektive der Betroffenen eingenommen und damit die bisherigen
Forschungen ergänzt. Es stellt die Individuen in den Mittelpunkt – nicht
die Institution“, erklärt Dr. Sabine Happ, Leiterin des
Universitätsarchivs. Zusammen mit Dr. Veronika Jüttemann,
wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Kontaktstelle Studium im Alter
der WWU, ist Sabine Happ für die „flurgespräche“ verantwortlich. „Fast
jeder fünfte der damals 200 Dozenten wurde verfolgt“, erläutert Veronika
Jüttemann eines der Ergebnisse. „Die Universität trägt Verantwortung,
weil sie einen gewissen Handlungsspielraum hatte.“ Die Betroffenen, von
denen viele aus dem Ruhrgebiet stammten, wurden aufgrund ihrer
politischen Ansichten, ihrer sexuellen Orientierung oder weil sie mit
Juden verheiratet oder selbst jüdisch waren, von der Universität
entlassen, vorzeitig in den Ruhestand versetzt, vom Studium
ausgeschlossen – in manchen Fällen entzog die Universität den
Betroffenen ihre akademischen Titel. Einige von ihnen konnten durch
Emigration, Abtauchen in den Untergrund oder Rückzug aus der
Öffentlichkeit ihr Leben retten, andere wurden von den
Nationalsozialisten umgebracht.

34 jüngere und 15 ältere Studierende der WWU – die an einem der über
vier Semester angebotenen Seminare „Opfer des Nationalsozialismus an der
Universität – Forschen und Gedenken“ teilnahmen – recherchierten die
Lebensgeschichten im Archiv und brachten sie zu Papier. „Dass man als
Student ins Archiv geht und unbearbeitete Themen erforscht, kommt
normalerweise nicht vor. Häufig war es Detektivarbeit“, betont der
ehemalige Geschichtsstudent und heutige Doktorand David Rüschenschmidt.
Nicht nur Archivunterlagen führten zu neuen Erkenntnissen. „Ich hatte
auch Kontakt mit Hinterbliebenen“, schildert Otto Gertzen. Der
pensionierte Geschichtslehrer absolviert das Studium im Alter und
erhielt während seiner Recherchen über Ernst Friedlich eine E-Mail aus
Australien. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung musste Ernst Friedlich
1933 sein Zahnmedizinstudium aufgeben. Nach seiner Inhaftierung in
verschiedenen Konzentrationslagern emigrierte er nach Australien und
nahm einen neuen Namen an. Sein Sohn David Fry lebt noch heute auf dem
fünften Kontinent und meldete sich bei Otto Gertzen. Die so gewonnenen
Informationen ergänzten vielfach die Universitätsakten.

Sabine Happ und Veronika Jüttemann (Hg.): „Es ist mit einem Schlag alles
so restlos vernichtet“. Opfer des Nationalsozialismus an der Universität
Münster, Aschendorff Verlag (Veröffentlichungen des Universitätsarchivs
Münster 12), Münster 2018, 1052 Seiten, gebundene Ausgabe, ISBN
978-3-402-15890-6, Preis: 39 Euro

Veranstaltungsort:
Universität Münster, Hörsaal S1
Schlossplatz 2, 48149 Münster