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Austellung
Austellung Trinkhallen – Treffpunkte im Revier

6. Mai bis 16. August 2020

Trinkhallen – Treffpunkte im Revier und immaterielles Kulturerbe
Fotos von Reinaldo Coddou H. und Brigitte Kraemer auf der Zeche Hannover

Trinkhalle, Bude, Büdchen, Kiosk – so vielfältig wie die Bezeichnungen
sind auch die Formen der Trinkhallen im Revier. Der Landschaftsverband
Westfalen-Lippe (LWL) widmet diesen kleinen Läden, die im Ruhrgebiet in
ihrer 100-jährigen Geschichte eine besondere Ausprägung und Bedeutung
erlangt haben, eine Fotoausstellung. Sie sind nicht nur oft pittoreske
Verkaufsstellen, sondern vor allem auch Kommunikationsorte. Das zeigt
die Ausstellung „Trinkhallen – Treffpunkte im Revier“ im
LWL-Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum mit einer Auswahl von
insgesamt 50 Fotos aus Serien von Reinaldo Coddou H. und Brigitte
Kraemer. Der LWL präsentiert die Schau bis zum 16. August im Malakowturm
des ehemaligen Bergwerks.

Die Ausstellung musste wegen der Museumsschließungen aufgrund des
Coronavirus verschoben werden und kommt nun zur rechten Zeit: Erst vor
zwei Wochen wurde die Trinkhallenkultur zusammen mit dem Steigerlied ins
Landesinventar des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Beide stünden
für Solidarität und sozialen Zusammenhalt und damit für eine ganz
besondere Facette der kulturellen Ausdrucksformen in
Nordrhein-Westfalen, begründete NRW-Kulturministerin Isabel
Pfeiffer-Poensgen die Wahl. Antragstellerin für die Anerkennung der
Trinkhallenkultur als immaterielles Kulturerbe war die Aachener
Architektin Marie Enders, die in ihrer Abschlussarbeit die
Trinkhallenkultur eingehend untersuchte. Die Präsentation ihrer
Ergebnisse ist in der Ausstellung des LWL-Industriemuseums zu sehen.

/Die Fotografen/
Der in Ostwestfalen aufgewachsene und heute in Berlin lebende Fotograf
Reinaldo Coddou H. hat zum ersten Tag der Trinkhallen im Ruhrgebiet 2016
die Büdchen im Revier in den Blick genommen und seitdem mehrere hundert
Trinkhallen fotografiert. „Die Buden sind so vielfältig wie die Menschen
im Revier. Das zeigt sich auch in ihrer Erscheinung. Ob elegant, grob
gestaltet, herausgeputzt oder in die Jahre gekommen – für die Menschen
im Ruhrgebiet sind Trinkhallen wichtige Treffpunkte und oft auch Orte
der Leidenschaft“, weiß der Fotograf Coddou H. Die Herner Fotografin
Brigitte Kraemer hatte in den Jahren 2006 bis 2008 im Auftrag des LWL
mit ihrer Kamera das Ruhrgebiet durchstreift und Kioske und Trinkhallen
in den Focus genommen. Im Mittelpunkt ihrer Bilder stehen die Menschen
in und an der Bude. Die Fotos zeigen Kinder, die ihr Taschengeld in
Süßigkeiten umsetzen, Jugendliche, die den Kiosk als Treffpunkt nutzen,
oder Frauen und Männer aus der Nachbarschaft, die an der Trinkhalle ihr
Schwätzchen halten. Kraemers Bilder sind gesellschaftskritische, sozial
engagierte und humorvolle Studien des ganz gewöhnlichen Lebens.

/Geschichte der Trinkhallen im Revier/
Die Trinkhallen blicken im Ruhrgebiet auf eine über 100-jährige
Geschichte zurück. „Seit den 1870er Jahren haben sich die Buden –
ursprünglich als Trinkhallen und Seltersbuden für den Verkauf von
industriell abgefülltem Mineralwasser gedacht – rasch im Revier
verbreitet“, erklärt LWL-Museumsleiter Dietmar Osses. Während sie in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft als Existenssicherung für
Kriegsversehrte und Bergmannswitwen dienten, erweiterten die Trinkhallen
in den 1960er Jahren ihre Warenpalette und entwickelten sich zu kleinen
Kaufläden mit persönlichem Service und besonderen Öffnungszeiten. Mit
dem Rückzug der Großindustrie aus dem Ruhrgebiet haben die ehemals an
den Werkstoren gelegenen Kioske ihre Laufkundschaft verloren. Osses:
„Die Trinkhallen in den Werkssiedlungen konnten sich jedoch oft
behaupten: Nachdem viele traditionelle Lebensmittelgeschäfte zentralen
Supermarktketten weichen mussten, füllten sie mit ihrem Angebot an
Alltagsprodukten diese Versorgungslücke vor Ort aus.“
Nach der Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten und Ausstattung von
Tankstellen mit supermarktähnlichen Shops geraten die Buden jedoch
zunehmend unter Konkurrenzdruck. Während die alt eingesessenen Kioske
oft auf das besondere Einkaufserlebnis setzen, versuchen andere, mit
innovativen Konzepten wie dem Angebot von internationalen
Telefongelegenheiten und Internetterminals neue Kundenkreise zu
erreichen. Heute wird ein wachsender Teil der Trinkhallen als
Kleinstbetrieb von Zuwanderern betrieben, die mit dem Kiosk den Schritt
in die unternehmerische Selbständigkeit wagen. In Zeiten des
Corona-Virus sind die kleinsten Trinkhallen die Gewinner: Nur die Buden
mit außer Haus Verkauf durchs Fenster konnten in der ersten Phase der
Kontaktsperre geöffnet bleiben. Sie blieben Treffpunkte zum Austausch
und Tratschen – aber nur für zwei Personen.

Hinweis: Der Zugang zum Malakowturm ist nicht barrierefrei und wegen der
Corona-Pandemie auf wenige Personen beschränkt. Daher kann es zu
Wartezeiten kommen.

Veranstaltungsort:
LWL-Industriemuseum Zeche Hannover
Günnigfelder Str. 251, 44793 Bochum
www.lwl.org/industriemuseum/standorte/zeche-hannover
Geöffnet Mi-Sa 14-18 Uhr, So 11-18 Uhr