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Ausstellung
Reviergestalten. Von Orten und Menschen

24. Februar bis 28. Oktober 2018

Ausstellung: Reviergestalten. Von Orten und Menschen

Mit der Schließung der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop endet im Dezember
die Ära des Steinkohlenbergbaus in Deutschland. Die Kohlenkrise an der
Ruhr begann schon vor 60 Jahren. Seither hat sich die Region enorm
gewandelt. Diesen Veränderungen widmet sich der Landschaftsverband
Westfalen-Lippe (LWL) in einer neuen Ausstellung mit dem Titel
„RevierGestalten – Von Orten und Menschen“ (24.2.-28.10.2018) im
LWL-Industriemuseum Zeche Zollern in Dortmund.
Die Schau richtet den Blick auf Orte des Wandels und stellt Frauen und
Männer vor, die den Prozess beeinflusst und miterlebt haben.
Fotografien, Filme, Dokumente und Exponate wie Modelle, Banner,
Werkzeuge, Kleidungsstücke und Instrumente veranschaulichen den Weg von
der Zeche zum Museum, den Kampf um Zechensiedlungen sowie die Umnutzung
industrieller Gebäude. In Videos erzählen Nachfahren ehemaliger
„Zolleraner“, welche Spuren die Bergbauvergangenheit in ihrem Leben
hinterlassen hat.
Als wertvoller Schatz für die Vorbereitung der Schau erwiesen sich mehr
als 100 Interviews mit ehemaligen Bergleuten, die das
LWL-Industriemuseum in den 1980er Jahren führte. Mit (Video-)Interviews,
Fotos, Texten und persönlichen Erinnerungsstücken stellt die Ausstellung
beispielhaft acht Familien vor, denen der Bergbau „im Blut“ steckt.

Von Orten
Im Erdgeschoss der historischen Zechenwerkstatt erzählt das
LWL-Industriemuseum zunächst seine eigene Geschichte: Es geht um den
Werdegang der Zeche Zollern von der Schließung bis zur Einrichtung als
Museum. Zeitungsausschnitte, Fotos und Interviews zeigen Beteiligte und
Motive der damaligen Rettung. Prospekte erinnern an die frühen 1980er
Jahre, als ein Möbelhändler die Lohnhalle als Verkaufsraum nutzte. Rosa
Gummistiefel gehörten zur Schutzkleidung einer Wissenschaftlerin, die in
den 1980ern Akten der Zeche Zollern sichtete. Kauenkörbe und Werkzeuge
stehen für den Grundstock der heutigen Museumssammlung.

Viel Raum widmete das Ausstellungsteam dem Kampf um Zechensiedlungen im
Revier – Eisenheim in Oberhausen, Rheinpreußen in Duisburg, die
Auguststraße in Gelsenkirchen und die Alte Kolonie Eving in Dortmund
haben alle ihre eigene Geschichte. „Manche Initiativen waren
erfolgreich, andere konnten den Abrissbagger nicht stoppen. Gemeinsam
aber ist allen, dass Menschen sich zusammen taten, um für ihr zu Hause
und ihr soziales Umfeld zu kämpfen“, erklärt Kuratorin Jana Golombek vom
LWL-Industriemuseum. So zeigt ein Plakat aus dem Jahr 1981
protestierende Frauen in der Gelsenkirchener Auguststraße, unter ihnen
die 85-jährige „Oma Kiliman“, die damals als „älteste Hausbesetzerin der
Republik“ in die Geschichte einging. Ein Original-Banner aus dem Jahr
1979 hängt über einem Großfoto von Frauen aus der Siedlung Rheinpreußen
im Hungerstreik. Auch hören und sehen kann man den Protest um die
Duisburger Koloniehäuser: An der Vitrine mit der „Quetsche“ von Frank
Baier erklingen seine „Lieder aus Rheinpreußen“, und Ausschnitte aus dem
Film „Gegen Spekulanten“ von 1976 veranschaulichen den damaligen Kampf.

Weniger erfolgreich waren Jahre zuvor die Bewohner der Dortmunder
Siedlung Alter Clarenberg: Ein Fenster mit weißem Kreuz erinnert an den
vergeblichen Kampf um den Erhalt der Kolonie in den 1960er Jahren. Die
Häuser der letzten Bewohner wurden mit diesem Zeichen markiert, bevor
auch dort der Abrissbagger anrückte, um Platz zu machen für eine moderne
Hochhaussiedung.

Karten und Modelle veranschaulichen die Stadt- und Siedlungsplanung im
Revier seit den 1960er Jahren. Dem Blick in die Geschichte fügt die
Ausstellung mit Planspielen für die Brache des Dortmunder Unternehmens
Hoesch Spundwand ein aktuelles Beispiel hinzu. Als erfolgreiches Muster
für die Nutzung ehemaliger Industriegebäude als Kulturorte stellt die
Ausstellung den Bahnhof Langendreer in Bochum und die Essener Zeche Carl
vor. „Auch dies sind Beispiele für eine starke Bewegung von unten, die
sich ihre Freiräume im Ruhrgebiet erobert und stillgelegte
Industriegebäude neu genutzt hat“, so Golombek. Mancher hat hier klein
angefangen: So hatte die Thrash-Metal-Band „Kreator“, die mit zwei
Millionen verkauften Alben weltweit Ruhm erlangte, in der Zeche Carl
ihren ersten Proberaum. Sänger „Mille“ Petrozza stellte seine Gitarre
für die Ausstellung zur Verfügung. Ein altes Mischpult aus der Frühzeit
der Zeche Carl steht für die Erfolgsgeschichte der Firma TDA, heute eins
der bundesweit größten Unternehmen für Veranstaltungstechnik.
Ausschnitte aus dem Film „Das Gegenteil von Grau“ zeigen aktuelle
Initiativen im Ruhrgebiet und beantworten die Frage, was die Menschen im
Revier dazu bewegt, aktiv zu werden und ihr Umfeld zu gestalten.

Auf einem stilisierten „Marktplatz“ in der Mitte der Ausstellungsfläche
können die Museumsbesucher in alten Zeitungen blättern oder auf
Ruhebänken aus Paletten eine Runde Memory spielen: Den ersten Satz der
Motive bekommen sie am Eingang in einem Kiosk ausgehändigt, das jeweils
zweite Stück können sie an den einzelnen Ausstellungsstationen einsammeln.

Von Menschen
Auf der Galerie im Obergeschoss der historischen Zechenwerkstatt stellt
das LWL-Industriemuseum ehemalige „Zolleraner“ Bergleute und deren
Nachfahren vor. Mit acht Familien haben die Ausstellungsmacherinnen
Kontakt aufgenommen und Interviews geführt. „Wir wollten wissen, welche
Rolle der Bergbau für die Kinder, Enkel oder Urenkel der aktiven
Generation noch hat und was die wandelnde Industrielandschaft für jeden
einzelnen bedeutet“, erklärt Historikerin Jana Flieshart, die für diesen
Teil der Ausstellung verantwortlich ist. Auf Bänken, oder auch mal
bequem im Liegestuhl, können sich die Besucher vor Bildschirmen
niederlassen und sehen und hören, was die Familienmitglieder zu
berichten haben. Teile der alten Interviews aus den 1980er Jahren hat
das Industriemuseum nachsprechen lassen und stellt diese ebenfalls in
Auszügen vor. Fotowände und Erinnerungsstücke aus dem Familienbesitz
ergänzen die Präsentation.

Die jüngeren Familienmitglieder bewerten die Tätigkeit der Eltern und
Großeltern und den Wandel der Industrie auf verschiedene Weise. Manche
erleben die ehemaligen Industriestandorte als Symbol für die Geschichte
und begrüßen die Umnutzung der Gebäude, andere wünschen sich eine
Zukunft, in der man um das wirtschaftliche Fortkommen der Region stärker
bemüht ist, bevor Kunst und Kultur weiter gefördert werden können.
Eigenschaften wie Zusammenhalt und Teamgeist oder eine Mentalität des
„Anpackens“ – notwendig und charakteristisch für die Arbeit unter Tage –
formulieren viele Interviewpartner als typisch für die Menschen im
Revier und auch als eigene Haltung. Flieshart zieht dieses Fazit aus den
Interviews: „Was geblieben ist, sind nicht nur Objekte, die Eltern und
Großeltern hinterlassen haben, sondern Lebenseinstellungen, Interessen
und die Erinnerung an Orte und Menschen des Reviers.“

Etwas Bleibendes hinterlassen können am Schluss auch die Besucher der
Ausstellung: Sie sind eingeladen, Kommentare zum Ruhrgebiet und ein
ausgedrucktes Selfie auf eine Pinnwand zu kleben und damit selbst zu
„Reviergestalten“ zu werden.

Begleitend zur Ausstellung bietet das LWL-Industriemuseum in Kooperation
mit dem Fritz-Hüser-Institut eine Reihe von Lesungen mit dem
Schauspieler Felix Lampert an. Er liest mit unterschiedlichen
thematischen Schwerpunkten aus Romanen, Erzählungen und Gedichten. Der
Eintritt ist frei.
13.3. 18 Uhr: Geschichten vom Pütt I – Seilfahrt
17.4. 18 Uhr: Geschichten vom Pütt II – Siedlung
11.9. 18 Uhr: Geschichten vom Pütt III – Grubenpferde
9.10. 18 Uhr: Geschichten vom Pütt IV – vor Kohle

Die Schau ist die erste einer Reihe von Ausstellungen, die das
LWL-Industriemuseum 2018 unter dem Dach der Initiative „Glückauf
Zukunft!“ zum Ende des Steinkohlenbergbaus an seinen fünf Standorten im
Ruhrgebiet zeigt. Begleitbuch: RevierGestalten. Von Orten und Menschen.
Hg. LWL-Industriemuseum, Jana Flieshart und Jana Golombek, 155 Seiten,
Klartext Verlag, Essen 2018, ISBN 978-3-8375-1922-8. 19,95 Euro

Veranstaltungsort:
LWL-Industriemuseum Zeche Zollern
Grubenweg 5, 44388 Dortmund
www.lwl-industriemuseum.de